Flexible Langstreckenzieher in einer sich ändernden Welt - die Rolle von Habitatveränderung und Klimawandel für Zugstrategien arktischer Gänse
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Arktische Gänse verbinden als Langstreckenzieher Küstenökosysteme der gemäßigten Breiten mit arktischen Habitaten. Als Zugvögel sind sie abhängig von geeigneten Rastgebieten. Die komplexen Zugmuster werden durch die "grüne Welle" des Frühjahrswachstums der Nahrungspflanzen bestimmt. Rezent beobachten wir räumliche Fragmentierung von Küstenhabitaten und globale Klimaänderungen. Nonnengänse reagieren äußerst flexibel auf Habitatveränderungen – das Brutareal hat sich in den vergangenen 30 Jahren dramatisch von Sibirien bis ins Wattenmeer ausgedehnt. Dadurch besteht die einmalige Chance, anhand der verschiedenen Brutpopulationen die Zugmechanismen zu ergründen. Leithypothese ist dabei, dass die beobachtete Ausdehnung des Brutareals von arktischen in gemäßigte Breiten erst durch Umweltveränderungen in den neu kolonisierten Bruthabitaten (frühere Wintergebiete) ermöglicht wurde. Dieser Forschungskomplex wurde in der vorliegenden Studie auf zwei Ebenen bearbeitet: (a) auf der Ebene der Nahrungsökologie, indem Wechselwirkungen zwischen der Nahrung und der Kondition von Altvögeln wie auch dem Wachstum von Gösseln vor dem Hintergrund eines Habitatgradienten von gemäßigten bis in arktische Breiten untersucht wurden. Hierbei kamen auch Fütterungsexperimente unter kontrollierten Bedingungen am Institut für Vogelforschung in Wilhelmshaven zum Einsatz; und (b) auf der Ebene der Landschaftsökologie, indem man die Auswirkungen globaler Veränderungen (Klimawandel, Veränderung der Landnutzung) auf Habitatverfügbarkeit und Nahrungsbedingungen entlang des Zugweges analysiert und modelliert. Die Ergebnisse zeigen, dass Fütterungsexperimente mit in Gefangenschaft gehaltenen Wasservögeln nur bedingt geeignet sind, die Auswirkungen unterschiedlicher Nahrungszusammensetzungen auf das Wachstum und die Kondition zu untersuchen. Sehr genaue Erkenntnisse über die Auswirkungen des Jugendhabitats auf die Überlebensraten geben populationsdemographische Modellierungen, die auf Langzeitdatensätzen zu individuell markierten Tieren beruhen. Hier zeigt sich, dass der bei Nonnengänsen beobachtete flexible Wechsel von der Arktis in gemäßigte Bruthabitate viele Vorteile bietet, zumindest solange in den neu besiedelten Gebieten noch keine Kapazitätsgrenzen erreicht sind. Treibende Kraft hinter dem großräumigen Habitatwechsel ist neben den Prädationsraten auch die Nahrungsverfügbarkeit – hier haben Veränderungen in der Landnutzung und klimatisch bedingte Veränderungen die Nahrungssituation in den gemäßigten Breiten stark verbessert: auch hier finden die Gänse jetzt in den Sommermonaten Pflanzennahrung mit hohem Stickstoffgehalt. Das Forschungsvorhaben hat vielfältige internationale Kooperationsmöglichkeiten genutzt und auch weiter ausgebaut. Eine große Herausforderung für die nächsten Jahre wird es sein, die Auswirkungen von globalem Wandel – nicht per se in der Form von Klimaveränderungen sondern vielmehr in der Gestalt großräumiger Veränderungen unserer landwirtschaftlichen Nutzlandschaft – auf Zugvogelpopulationen besser zu verstehen. Das Projekt hat für diesen Weg vielfältige spannende Ansätze aufgezeigt und moderne Techniken erprobt.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
- (2007) Migratory connectivity in Arctic geese: spring stopovers are the weak links in meeting targets for breeding. J. Ornithology
Drent, RH, Eichhorn, G, Flagstad, A., Van der Graaf, AJ, Litvin, KE & Stahl, J
(Siehe online unter https://doi.org/10.1007/s10336-007-0223-4) - (2008) Newly established breeding sites of the Barnacle Goose in north-western Europe - an overview of breeding habitats and colony development. Vogelwelt 129: 244-252
Feige N, Van der Jeugd HP, Van der Graaf AJ, Larsson K, Leito A, Stahl J
- (2009) Antiprädationsverhalten von Weißwangengänsen auf Kolguyev und Svalbard. Osnabrücker Naturwissenschaftliche Mitteilungen 35: 201-208.
Kruckenberg, H. Kondratyev, A. Mooij, J.H., Loonen, M.J.J.E. Stahl, J. & Zöckler, C.
- (2009) Keeping up with early springs: rapid range expansion in an avian herbivore incurs a mismatch between reproductive timing and food supply. Global Change Biology 15: 1057–1071
van der Jeugd, HP, Eichhorn G; Litvin K; Stahl J; Larsson K; van der Graaf AJ; Drent RH
- (2009) Skipping the Baltic: the emergence of a dichotomy of alternative spring migration strategies in Russian barnacle geese. Journal of Animal Ecology 78: 63-72
Eichhorn, G., Drent, R.H., Stahl, J., Leito, A., Alerstam, T.
- (2010) Community Ecology and Management of Salt Marshes. pp. 131-148 in: Verhoef, H.A. & Morin, P.J. (eds) Community Ecology. Processes, Models and Applications. Oxford Univ. Press, Oxford
Bakker, J.P., Kuijper, D.P.J. & Stahl, J.
- (2011) Individual inter-annual nest-site relocation behaviour drives dynamics of a recently established Barnacle Goose Branta leucopsis colony in subarctic Russia. Ibis
Karagicheva J., Rakhimberdiev, E., Dobrynin D., Saveliev, A., Rozenfeld, S., Pokrovskaya, O., Stahl, J., Prop, J. & Litvin, K.
(Siehe online unter https://doi.org/10.1111/j.1474-919X.2011.01123.x)