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Im Dienst des Zaren: Lebens- und Karrierewege der imperialen Verwaltungselite im ausgehenden Zarenreich (1855-1914)
Antragsteller
Professor Dr. Malte Rolf
Fachliche Zuordnung
Neuere und Neueste Geschichte (einschl. Europäische Geschichte der Neuzeit und Außereuropäische Geschichte)
Förderung
Förderung von 2016 bis 2021
Projektkennung
Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 286057336
Das Forschungsvorhaben widmet sich den imperialen Lebensläufen hoher Staatsbeamter der zarischen Provinzverwaltung in der zweiten Hälfte des 19. und im beginnenden 20. Jahrhundert. Anhand exemplarischer imperialer Biographien werden zwei thematische Kernbereiche untersucht: Zum einen die Muster beruflicher und räumlicher Mobilität der Verwaltungselite, zum anderen die Selbstbilder dieser Staatsbeamten. Bei ersterem gilt es, die Beförderungs- bzw. Versetzungskriterien der zarischen Administration herauszuarbeiten und das Rotationssystem zu rekonstruieren, das die Provinzverwaltung im ausgehenden Zarenreich kennzeichnete und in dessen Folge die Karrieren der Staatsbeamten von häufigen Ortswechseln, kurzen Dienstzeiten in den jeweiligen Positionen und Gebieten sowie einem fast reichsumspannenden Einsatz geprägt waren. Das Forschungsprojekt fragt nach den Folgewirkungen dieser administrativen Praxis für den Staatsausbau, den Einflussmöglichkeiten, die für externe Amtsträger vor Ort bestanden, und den translokalen Vernetzungen von Reichsgebieten, die durch die provinzübergreifende Mobilität der Beamten hergestellt wurden.Beim zweiten geht es darum, die erfassten verwaltungsstrukturellen Gegebenheiten in Zusammenhang mit den Selbstentwürfen der Amtsträger zu stellen und nach der Genese ihrer Reichsbilder, Loyalitätsmuster und Identitätsmerkmale zu fragen. Gerade der Blick auf die individuellen Biographien und auf die damit verbundenen Selbstzeugnisse erlaubt Einsichten in die mentalen Horizonte der Protagonisten. Dabei spiegeln ihre Selbstentwürfe nicht nur die imperialen Kontextsetzungen wider, sondern veranschaulichen auf exemplarische Weise auch, inwieweit die Protagonisten der zarischen Staatsverwaltung versuchten, ihre Handlungsspielräume zu erweitern, Deutungshoheit aus beruflicher Erfahrung und Mobilität abzuleiten und aktiv in die Debatten um die richtige Reichsverfassung einzugreifen. Somit geben die durch hohe räumliche Mobilität gekennzeichneten Karrieren einerseits Einblick in die Strukturmuster der Staatsbürokratie, andererseits erlauben sie ebenso, deren Ausdeutungen durch die Akteure und damit die Identitätsentwürfe dieser homines imperii herauszuarbeiten.Das Forschungsprojekt fragt insofern – Überlegungen der new imperial history sowie der neueren Biographik aufgreifend – nach den Wechselwirkungen von imperialen und berufsspezifischen Rahmenbedingungen, den individuellen Gestaltungsspielräumen sowie den handlungsleitenden Selbstbildern der Protagonisten, die in der Provinzverwaltung im ausgehenden Russischen Reich tätig waren. Eine solche Perspektive verspricht einen innovativen Blick auf den zarischen Staatsapparat, seine Handlungsweisen und seinen Wandel. Zudem erweitert das Projekt das Verständnis vom späten Russischen Reich grundlegend, indem es die Wechselbezüge von Staatausbau, Mobilitätsmustern, imperiumsweiten Austauschbeziehungen und Akteursperspektiven dicht beschreibt.
DFG-Verfahren
Sachbeihilfen
Mitverantwortlich
Dr. Benedikt Tondera