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Die Störwirkung von devianten und wechselhaften auditiven Distraktoren im direkten Vergleich: Ein kritischer Test von Modellen der auditiven Ablenkung

Antragsteller Dr. Raoul Bell
Fachliche Zuordnung Allgemeine, Kognitive und Mathematische Psychologie
Förderung Förderung von 2015 bis 2018
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 284227121
 
Erstellungsjahr 2018

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Ziel des Projekts war die Überprüfung des Duplexmodells der auditiven Ablenkung. Das Modell unterscheidet zwischen zwei Arten auditiver Ablenkung: Die Störung des Kurzzeitgedächtnisses durch wechselnde Distraktoren (messbar in Form des Changing-State-Effekts) wird mit der präattentiven, obligatorischen Verarbeitung der Reihenfolge der Distraktoren erklärt, die mit der Verarbeitung der Reihenfolge der Zielreize interferiert. Die Störung durch deviante Distraktoren, die eine reguläre Sequenz gleichartiger Distraktoren unterbrechen (messbar in Form des Devianzeffekts), wird hingegen auf Aufmerksamkeitsablenkung zurückgeführt. Zwei Vorhersagen sind für diese Unterscheidung zentral: Erstens wird postuliert, dass nur die Ablenkung der Aufmerksamkeit durch deviante Distraktoren kognitiver Kontrolle unterliegt, der Changing-State-Effekt sich aber kognitiver Kontrolle entzieht. Zweitens wird postuliert, dass nur deviante Distraktoren Aufgaben stören, die Aufmerksamkeit beanspruchen, wechselnde Distraktoren hingegen nur die Verarbeitung von Reihenfolge stören. Diese Vorhersagen wurden im vorliegenden Projekt einer experimentellen Prüfung unterzogen. Die Befunde sind mit beiden Vorhersagen inkompatibel. So wies der Devianzeffekt keinen differenziellen Zusammenhang mit Arbeitsgedächtniskapazität auf und wurde auch nicht selektiv durch Vorwarnungen reduziert. Die Ablenkung durch wechselnde Distraktoren ist zudem allgemeiner als angenommen. So stören wechselnde Distraktoren nicht nur die Verknüpfung von Items und Reihenfolgeinformationen, sondern generell die Verknüpfung von Items und episodischen Kontexten und stören auch das Gedächtnis für Gesichter. Somit erweisen sich zentrale Annahmen des Duplexmodells als nicht haltbar. Die Befunde stützen daher zunächst einmal das an Annahmen sparsamere Aufmerksamkeitsmodell, das allerdings im Licht der Befunde weiterentwickelt werden muss. Das Duplexmodell wurde in der Vergangenheit oft mit einem so genannten „einheitlichen“ Aufmerksamkeitsmodell kontrastiert, nach dem ein Aufmerksamkeitswechsel nach einem Alles-oder-Nichts-Prinzip funktioniert. Mit einem solch vereinfachten Modell der Aufmerksamkeitsablenkung sind die berichteten Befunde ebenfalls inkompatibel. Aufgrund der Beobachtung, dass auch wiederholte Distraktoren eine signifikante Störwirkung ausüben, erscheint es nahe liegend, die Störung durch auditive Distraktoren im Einklang mit psychophysiologischer Evidenz als abgestuften Prozess zu konzipieren. Neben den theoretischen haben die Befunde auch praktische Implikationen, da sie zeigen, dass Effekte der auditiven Ablenkung breiter als ursprünglich angenommen sind. So kann man auch bei gleichbleibenden Störgeräuschen von einer signifikanten Störung von Arbeitsgedächtnisleistungen ausgehen. Hintergrundgeräusche wie Sprache oder Musik stören nicht nur Aufgaben, die die Verarbeitung von Reihenfolge erfordern (wie das Erinnern von Telefonnummern), sondern basale Arbeitsgedächtnisfunktionen, die in vielen verschiedenen Kontexten eine wichtige Rolle spielen. Die Fähigkeit, die Ablenkung durch diese Geräusche zu unterdrücken, ist selbst bei Personen mit hoher Arbeitsgedächtniskapazität begrenzt. Lern- und Arbeitsumgebungen müssen daher so gestaltet werden, dass die Störung durch aufgabenirrelevante Geräusche möglichst vermieden wird.


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