Ein formales Modell zur Messung von Antwortverzerrungstendenzen mit der Overclaiming Technik
Zusammenfassung der Projektergebnisse
In vielen sozial- und verhaltenswissenschaftlichen Fragestellungen ist der Selbstbericht eine weit verbreitete Datenquelle. Gleichwohl bedroht die Tendenz von Personen, sich selbst in einem positiven Licht darzustellen, die Validität von Selbstberichten zu sensiblen Einstellungen, Merkmalen und Verhaltensweisen. Eine Möglichkeit zur Verbesserung der Validität von Selbstauskünften besteht in der Messung und der anschließenden statistischen Kontrolle des Ausmaßes individueller Selbstdarstellungstendenzen. In der Overclaiming-Technik werden diese bestimmt, indem die Teilnehmer hinsichtlich mehrerer tatsächlich existierenden (Targets) und frei erfundenen (Lures) Begriffe angeben sollen, ob ihnen diese bekannt sind. Overclaiming ist als Tendenz definiert, Wissen über tatsächlich nicht-existente Begriffe anzugeben, und kann daher als Kriterien-Diskrepanz-Maß zur Erfassung von Selbstdarstellungstendenzen herangezogen werden. Allerdings ist sind in der gängigen Operationalisierung des Ausmaßes von Overclaiming Gedächtnisprozesse und Verfälschungstendenzen konfundiert. Zudem ist die Interpretation des vollständigen Wertebereichs des derart erhaltenden Index als differentielle Ausprägungen in der Overclaiming-Tendenz fraglich. In dem Projekt wurde zur Lösung dieser Probleme ein alternatives Messmodell zur Dekomponierung von Gedächtnisprozessen und Verfälschungstendenzen entwickelt und validiert. Die Kernidee bestand darin, einen Durchgang ohne vorherige Warnung über das Vorhandensein von Lures mit einem Durchgang mit vorheriger Warnung zu kontrastieren. Über ein geeignetes Messmodell wurde ein Modellparameter (b) definiert, der im Einklang mit der Definition von Overclaiming die Wahrscheinlichkeit einen mit ausreichender Sicherheit dem Gedächtniszustand „unbekannt“ zugeordneten Lure dennoch als „bekannt“ zu berichten. In einer Serie von Validierungsexperimenten zeigte sich allerdings, dass zwar alle Modellparameter in vorhergesehener Weise auf die experimentellen Manipulationen reagierten, die Effekte jedoch teils inkonsistent und insbesondere für den zentralen Antwortbias-Parameter (b) gering ausfielen. Weitere Validierungsstudien legten den Schluss nahe, dass mittels des Antwortbias-Parameters des vorgeschlagenen Modells keine valide Messung von Selbstdarstellungstendenzen ermöglicht wird. Allerdings stellen die Ergebnisse auch die Eignung des klassischen Overclaiming Paradigmas zur Erfassung von Selbstdarstellungstendenzen in Frage. Overclaiming konnte in keiner der Studien seine Validität unter Beweis stellen und scheint eher automatisch ablaufende Sense-Making und Attributionsprozesse widerzuspiegeln. Letztlich wurde auch eine Impression Management Skala als alternativen Erfassungsansatz zur Messung von Selbstdarstellungstendenzen untersucht. Hier zeigte sich zwar, dass Impression Management auch für Antwortverzerrungen relevante Varianzkomponenten umfasst, diese jedoch mit true-virtue Komponenten (faktischer Ehrlichkeit) konfundiert sind, so dass von der Messung von Selbstdarstellungstendenzen mittels derartiger Skalen ebenfalls abgeraten werden muss.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
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(2018). Overclaiming Shares Processes With the Hindsight Bias. Personality and Individual Differences, 134, 298-300
Müller, S., & Moshagen, M.
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(2019). Controlling for Response Bias in Self-Ratings of Personality – A Comparison of Impression Management Scales and the Overclaiming Technique. Journal of Personality Assessment, 101, 229-236
Müller, S., & Moshagen, M.
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(2019). How to (Not) Measure Self-Favoring Response Bias – An Examination of Impression Management and Overclaiming. Dissertation
Müller, S.
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(2019). True Virtue, Self-Presentation, or Both? A Behavioral Test of Impression Management and Overclaiming. Psychological Assessment, 31, 181-191
Müller, S., & Moshagen, M.