Medieval Narratology - Narrative Formen und Funktionen im Mittelalter
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Das Netzwerk „Medieval Narratology – Narrative Formen und Funktionen im Mittelalter“ hat gezeigt, dass die allgemeinen narratologischen Theorien in ihrer Anwendung auf mittelalterliche Texte oftmals ein verzerrtes Bild vom vormodernen Erzählen entwerfen. Um mittelalterliche Erzählformen adäquat zu fassen, bedarf es einer historisch sensiblen Anpassung der erzähltheoretischen Parameter. Diese kritische Überarbeitung gilt nicht für alle erzähltheoretischen Kategorien und Konzepte gleichermaßen. Raum und Zeit beispielsweise lassen sich gut mit den bestehenden Theorien fassen, und auch Parameter der Perspektivierung sind relativ unproblematisch. Die Anwendung bestehender Theorien bedeutet freilich nicht, dass auch die Ergebnisse notwendigerweise den Ergebnissen von Analysen moderner Erzähltexten ähneln. Im Gegenteil: Die Netzwerk-Arbeit hat immer wieder die zum Teil erheblichen Unterschiede zwischen mittelalterlichen Erzählformen und -funktionen und modernen Erzählpraktiken offengelegt. Mittelalterliches Erzählen ist vielfach alteritär, insbesondere in der Funktionalisierung von erzählerischen Mitteln. Dabei gibt es auch innerhalb der mittelalterlichen Literaturen gattungsgeschichtlich und in Bezug auf die verschiedenen linguistischen und historischen Kontexte zum Teil bemerkenswerte Unterschiede, die erst im interdisziplinären Austausch zutage treten. So lassen sich Hypothesen von Alleinstellungsmerkmalen oder Sonderwegen erst bestätigen oder widerlegen, wenn sie in einem breiten interdisziplinären Rahmen verortet werden. Unabdingbar ist hier die Ausweitung der interdisziplinären Arbeit hin zur Byzantinistik, den Islamwissenschaften und der Arabistik, aber auch des Mittellateins, da die bisherige historische Narratologie vor allem auf volkssprachliche Texte konzentriert ist. Das Netzwerk hat insgesamt in einem hohen Maße zur Sichtbarkeit der historischen Narratologie und ihrer Relevanz beigetragen und nicht zuletzt ein über den Förderungszeitraum hinaus bestehendes und starkes Netzwerk von historisch arbeitenden Narratolog*innen geschaffen.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
- Narratologie und mittelalterliches Erzählen. Autor, Erzähler, Perspektive, Zeit und Raum. Berlin: de Gruyter, 2018. (Das Mittelalter. Beihefte)
Eva von Contzen und Florian Kragl (Hrsg.)
- „Narrative and Experience in Medieval Literature: Author, Narrator, and Character Revisited.“ Narratologie und mittelalterliches Erzählen. Autor, Erzähler, Perspektive, Zeit und Raum. Hrsg. Eva von Contzen und Florian Kragl. Berlin: de Gruyter, 2018. 61-80
Eva von Contzen
- „Wer bin ‚Ich‘ und wenn ja, wie viele? Narrative Inszenierungen des Ichs in England und Schottland.“ Von sich selbst erzählen. Historische Dimensionen des Ich-Erzählens. Hrsg. Sonja Glauch und Katharina Philipowski. Berlin: de Gruyter, 2018. 63-97
Eva von Contzen
- Handbuch Historische Narratologie. Stuttgart: Metzler, 2019
Eva von Contzen und Stefan Tilg (Hrsg.)
(Siehe online unter https://doi.org/10.1007/978-3-476-04714-4) - Themenheft 3 (2019) der Beiträge zur mediävistischen Erzählforschung zu „Historische Narratologie: Werkstattberichte“
Eva von Contzen (Hrsg.)