Semantische Tranformationen im 20. Jahrhundert: Rationalisierung, Ästhetisierung, Technisierung, Medialisierung
Zusammenfassung der Projektergebnisse
In Übertragung der theoretischen und methodologischen Ansätze der Historischen Semantik auf das 20. Jahrhundert, in ihrer diskursgeschichtlichen Erweiterung und schließlich in ihrer Fokussierung auf vier, besonders dominante Prozessvorstellungen hat das Projekt die Bedeutungsgeschichte der historischpolitischen Selbstverständigung in Deutschland von der Jahrhundertwende bis zur Wiedervereinigung untersucht. Dabei konnte nachgewiesen werden, dass sich die Semantik wesentlicher Grundbegriffe dieser Selbstverständigung im Laufe des 20. Jahrhunderts gleich mehrfach transformiert hat, diese Transformationen in ihrer Reihung aber zugleich eine Wiederholungsstruktur aufweisen: In den semantischen und diskursiven Feldern rund um die Prozessvorstellungen der Rationalisierung (um 1900), Ästhetisierung (Zwischenkriegszeit), Technisierung (Nachkrieg) und Medialisierung (1960-1990) lässt sich das wiederholte Bemühen erkennen, den utopischen Erwartungsüberschuss, wie er seit der Sattelzeit dem Projekt der Moderne eigen ist, mit den Erfahrungen der Moderne als historischer Epoche zu versöhnen – jenen von Koselleck identifizierten Bruch zwischen Erfahrungsraum und Erwartungshorizont also zu schließen und Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in eine bestimmbare Zeitordnung zu bringen. Die transitive wie zugleich intransitive Semantik von Prozessbegriffen, die den Gegensatz zwischen aktivem Gestalten und passivem Erleiden, zwischen ‚Determinismus‘ und ‚Possibilismus‘ tendenziell auflöst, trug zu dieser Wiederverschränkung von Erfahrung und Erwartung wesentlich bei; dies aber nicht einmalig, sondern in Wiederholungsschleifen und im Horizont von Prozessbegriffen, die gänzlich verschiedene Entwicklungstendenzen der modernen Gesellschaft in den Blick rückten. So markierte Rationalisierung um 1900 die bürokratische Erstarrung der Gesellschaft ebenso wie das Versprechen auf Effizienzsteigerung und Optimierung; Ästhetisierung verwies in der Zwischenkriegszeit sowohl auf die Auflösung des Poltischen in bloßem Schein und Ausdruck als auch auf das Versprechen einer synthetischen Welt- und Gesellschaftsgestaltung; nach 1945 stand Technisierung für das Bewusstsein, in einer durchdeterminierten Welt zu leben, zugleich aber auch für das Versprechen, in eben dieser Erkenntnis neue Freiheits- und Gestaltungspotentiale zu generieren; und in den letzten drei Jahrzehnten der alten Bundesrepublik bezeichnete Medialisierung einen unaufhaltsamen Strukturwandel des Politischen, in dessen Verlauf aber auch eine ganz neue Synthese von Politik, Öffentlichkeit und Gesellschaft möglich werde. So unterschiedlich die konkreten Phänomene und Probleme, auf die sich diese Prozessvorstelllungen bezogen, auch waren, in ihrer semantischen Funktion und Reihung machen sie eine Wiederholungsstruktur deutlich, die manchen der heutigen Debatten über ‚neue Herausforderungen‘ – zum ‚Klimawandel‘, zur ‚Demokratiekrise‘ oder zur ‚Digitalisierung‘ – in ihrer immer gleichzeitigen Betonung von Fatalismus und Aktionismus eine Vorgeschichte und historische Tiefenschärfe verleiht.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
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Basic and Applied Research: Historical Semantics of a Key Distinction in 20th Century Science Policy, 20.02.2014 – 22.02.2014 Bonn, in: H-Soz-Kult, 02.10.2014
Jasmin Brötz
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„Der Flaggenstreit: Zur politischen Sinnlichkeit der Weimarer Demokratie“, in: Andreas Braune/Michael Dreyer (Hg.): Neue Forschungen zur Politik der Weimarer Republik, Stuttgart 2017, S. 51-68
Verena Wirtz
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Tagungsbericht: Zusammenbruch, Aufbruch, Abbruch? Die Novemberrevolution als Ereignis und Erinnerungsort, Weimar 24-2611 2017, in: H-Soz-Kult 12.01.2018
Verena Wirtz
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„Rausch und Tollheit: Zur Ethik und Ästhetik revolutionärer Künstlerpolitik um 1918, in: Alexaner Wierzock/Albert Dikovich (Hg.)., Der ‚Neue Mensch‘ und das politische Imaginäre in Mitteleuropa 1918/19: Philosophie, Humanwissenschaften, Literatur, Stuttgart 2018, S. 235-262
Verena Wirtz
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Peter Vogt: Kontigenz und Zufall. Eine Ideen- und Begriffsgeschichte, Berlin 2011, in: Forum interdisziplinäre Begriffsgeschichte 8 (2019)
Verena Wirtz
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Alcoholism, Abstinence and Rationalization in Germany, in: Ernst, Waltraud / Müller, Thomas (Hg.): Alcohol, Madness and Society. Historical Perspectives, c. 1700 – 1990s, Manchester: Manchester University Press (2021)
Jasmin Brötz
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Ästhetisierung. Kunst und Politik in der Zwischenkriegszeit, Frankfurt a.M.: Campus 2021
Verena Wirtz
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„Revolution als Neuschöpfung. Zur politischen Ästhetik der Münchener Räterepublik“, in: Archiv für Sozialgeschichte 2021
Verena Wirtz