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SFB 1150:  Kulturen des Entscheidens

Fachliche Zuordnung Geisteswissenschaften
Sozial- und Verhaltenswissenschaften
Förderung Förderung von 2015 bis 2019
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 252080619
 
Erstellungsjahr 2020

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Der SFB „Kulturen des Entscheidens“ entwickelte einen spezifisch kulturwissenschaftlichen Zugang zum Entscheiden. In Abgrenzung von den existierenden Entscheidungswissenschaften, die das Zustandekommen von Entscheidungen mittels Modellbildung als mentalen Vorgang betrachten, zeichnet sich der vom Forschungsverbund verfolgte Ansatz dadurch aus, dass Entscheiden als voraussetzungsvolle und historisch veränderliche Form des sozialen Handelns konzipiert wird, das sich in prozessualer Weise vollzieht. Entsprechend ist auch zunächst nach der Herstellung und der Rahmung, mithin der sozialen Konstruktion einer Handlungssituation als Entscheiden, zu fragen. Ob ein Thema als Entscheidungsproblem behandelt wird, ist keineswegs selbstverständlich, sondern unterliegt veränderlichen kulturellen Bedingungen. Das Gleiche gilt für die konkrete Ausgestaltung von Entscheidungsprozessen, ihre symbolische Darstellung und die Art und Weise, wie diese insbesondere über Narrative repräsentiert und reflektiert werden. Im Zentrum einer derart ausgerichteten Entscheidensforschung steht demnach weniger die Entscheidung als Resultat als vielmehr das Entscheiden als sozialer Prozess, im Zuge dessen alternative Handlungsoptionen erzeugt, bewertet und schließlich ausgewählt werden. Dabei ging der SFB 1150 von der grundlegenden Annahme aus, dass sich Entscheiden und die es kennzeichnenden Hinsichten kulturspezifisch je verschieden ausprägen und eine je andere Rolle für die Struktur der sozialen Ordnung spielen. Insofern zielt der dem Forschungsverbund zugrundeliegende Ansatz darauf ab, unterschiedliche historische Kulturen des Entscheidens zu rekonstruieren und ihre Bedeutung für die jeweilige gesellschaftliche Ordnung sichtbar zu machen. Disziplinär stützte sich der SFB 1150 auf die Geschichte unter Einschluss der Rechtsgeschichte und der Byzantinistik, die Literaturwissenschaften, die Ethnologie, die Judaistik und die Philosophie. Die Forschungsgegenstände reichten chronologisch vom byzantinischen und lateinischen Mittelalter über die frühe und späte Neuzeit bis zur Gegenwartsgesellschaft. Bei den untersuchten kulturellen Räumen lag ein Schwerpunkt auf Westeuropa, doch bezogen sich mehrere der durchgeführten Teilprojekte auf außereuropäische Kontexte (insbesondere Indien sowie Nord- und Lateinamerika). Bei der projektübergreifenden Analyse von Kulturen des Entscheidens wurden drei Hinsichten besonders intensiv in den Blick genommen. Zum einen wurden Narrative und Reflexionen des Entscheidens thematisiert. Grundlegend hierfür war die Annahme, dass es aufgrund des prozessualen Charakters von Entscheiden vor allem Narrative sind, über die Entscheiden repräsentiert und reflektiert wird, und dass sich dementsprechend Kulturen des Entscheidens wesentlich auf Narrative gründen. Diese halten kulturelle Muster bereit, die Akteure für ihr Entscheidenshandeln und dessen Reflexion nutzen können, und sie liefern ex post Gründe und Rechtfertigungen für eine getroffene Entscheidung. Zum anderen wurden im Zusammenhang mit der Frage, ob ein Thema entscheidensförmig behandelt wird, die Konstitutionsbedingungen und Rahmungen des Entscheidens im historischen Wandel untersucht. Bedingungen und Ausprägungen, wie zu bestimmten Zeiten und in bestimmten sozialen und kulturellen Kontexten entschieden werden konnte, wurden schließlich durch eine Analyse der Modi des Entscheidens in den Blick genommen. Diese beinhaltet insbesondere eine Untersuchung von unterschiedlichen institutionellen Formen des Entscheidens (z. B. Entscheiden mittels Verfahren, Entscheiden gestützt auf Autorität, Externalisierung von Entscheiden). Dem SFB 1150 gelang es im Rahmen seiner Förderzeit, den von ihm verfolgten Ansatz einer historischkulturwissenschaftlich ausgerichteten Entscheidensforschung in wesentlichen Punkten weiterzuentwickeln und zu differenzieren. Zugleich wurde das Forschungsprogramm des SFB in einer Vielzahl von empirischen Untersuchungen erfolgreich angewendet und umgesetzt. Hierbei hat sich gezeigt, dass nicht erst in der Moderne, sondern bereits in der Vormoderne eine große Vielfalt an Formen und Weisen existierten, wie soziales Handeln als Entscheiden gerahmt sein konnte, wie sich Entscheiden ausprägen und vollziehen und wie dieses repräsentiert und reflektiert werden konnte. Der langfristige Wandel von Kulturen des Entscheidens erweist sich demnach gerade auch mit Blick auf das Verhältnis zwischen Moderne und Vormoderne als ausgesprochen vielschichtig und ist durch ein wesentlich höheres Maß an Ambivalenz und Uneindeutigkeit gekennzeichnet, als dies verbreitete Modernisierungserzählungen suggerieren.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

 
 

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