Zukunftsvorstellungen in frühen deutschsprachigen Prosaromanen
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Zeit ist für Erzählen essentiell: Die Art und Weise, wie literarische Erzählungen funktionieren, ist ganz wesentlich davon beeinflusst, welche Zeitvorstellungen in den Texten entworfen sind. Diese Zeitvorstellungen sind zugleich einem soziokulturellen Wandel unterworfen. Das bedeutet, Zeit ist historisch gesehen ganz unterschiedlich verstanden worden. So mag z.B. heute die Vorstellung, dass ein mittelalterlicher Held keine Zukunft nach unserem Verständnis kennt, zunächst einmal sehr fremd erscheinen: Doch der Platz, den der mittelalterliche Held sich in der dargestellten Welt zu erkämpfen hat, ist ihm stets vorherbestimmt – sei es durch Geburt, durch Schicksal oder Gott. Die mittelalterlichen Erzählungen kennen daher nicht die Vorstellung einer offenen Zukunft, d.h. eines unbestimmten Zeitraumes, den es mit Plänen, Wünschen, Kalkulationen usw. zu füllen und zu gestalten gilt. Es ist noch nicht einmal das Wort ‚Zukunft‘ in Gebrauch, denn das mittelhochdeutsche und auch noch das frühneuhochdeutsche zuokunfft oder kunfft bezeichnet vielmehr die Ankunft, d.h. den Eintritt eines vorherbestimmten Ereignisses. Doch an welcher Stelle und auf welche Art und Weise tritt in der Literatur hierbei ein Wandel hin zu einer offenen Zukunft ein? Woran lässt sich nicht das Wort ‚Zukunft‘, wohl aber das Phänomen ‚Zukunft‘ erkennen? Mit diesen Fragen setzt sich das Projekt auseinander und macht dabei einsehbar, wie mit dem Ungewissen in den frühen Prosaromanen umgegangen wird. Analysiert wurde zudem, ob und woran sich ein Gestaltungswille des Möglichen, Noch-Nicht-Seienden festmachen lässt. Das Projekt beschreibt dementsprechend einen Wandel im Erzählen von Zukunft: Gezeigt wird in der Untersuchung von frühen deutschsprachigen Prosaromanen auf welche Art und Weise offene Zukunftsvorstellungen verhandelt werden. Der frühe deutschsprachige Prosaroman eignet sich insbesondere deshalb als Untersuchungsgestand, weil in ihm neue Formen des Erzählens literarisch erprobt werden und ein durchaus innovativer Umgang der Zeitgestaltung zu beobachten ist. Der Fokus der Analyse liegt auf den Erzählweisen und narrativen Strategien zur Erzeugung von Zeitvorstellungen, die zum Teil bereits auch schon in den mittelalterlichen Versromanen vorbereitet werden. Als eine spezifische Neuerung der Prosaromane gegenüber den mittelalterlichen Erzählungen ist u.a. zu beobachten, dass die Auslöser und Gründe des Handelns der Figuren dem Leser als deren gedankliche Überlegungen einsehbar gemacht werden. Tatabsichten, Pläne und Handlungsvorbereitungen rücken hier ins Zentrum der narrativen Darstellung. Diese Überlegungen, die auch Alternativen zum erzählten Geschehen in Erscheinung treten lassen, sind starkes Indiz für das Interesse des zeitgenössischen Publikums an der Auseinandersetzung mit einer ungewissen Zukunft. Gezeigt wird, wie erzählende Literatur in der narrativen Verhandlung von Zukunft ein neues historisches Zeitbewusstsein reflektiert und zugleich auch (mit-)gestaltet.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
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Die Schlange und der Drache. Eschatologische und genealogische Zukunftsentwürfe in Text und Bild der Melusine des Thüring von Ringoltingen, S. 113-135 in: Krise und Zukunft in Mittelalter und (Früher) Neuzeit. Studien zu einem transkulturellen Phänomen [Festschrift für Gerhard Wolf zum 60. Geburtstag], hrsg. v. Nadine Hufnagel, Susanne Knaeble, Viola Wittmann, Silvan Wagner, Mürzel Verlag, 2017. ISBN 978-3-7776-2649-9 (Print)
Knaeble, Susanne
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Erzählen von den ‚Abenteuern des Geschlechts‘ in der Melusine des Thüring von Ringoltingen. In: Narrative des Abenteuerlichen vom Mittelalter zur Moderne, hrsg. v. Jutta Eming und Ralf Schlechtweg-Jahn. Göttingen 2017 (Transatlantische Studien zu Mittelalter und Früher Neuzeit, 7), S. 63‑82
Knaeble, Susanne
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Selbstreflexive Erzählpassagen in Thürings von Ringoltingen Melusine und im Hug Schapler (1500)? Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik, March 2018, Volume 48, Issue 1, pp 105–124
Knaeble, Susanne