Pflanzen für Palästina! Naturwissenschaften im Jischuw, 1900-1930
Neuere und Neueste Geschichte (einschl. Europäische Geschichte der Neuzeit und Außereuropäische Geschichte)
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Das Projekt rekonstruierte den Prozess der Institutionalisierung von Botanik und Agrarwissenschaften im Jischuw, dem jüdischen vorstaatlichen Siedlungswesen in Palästina, durch den so genannten Botanischen Zionismus. Maßgebliche Akteure waren eine Gruppe deutscher Naturwissenschaftler um den Kolonialbotaniker und Zionisten Otto Warburg (1859-1938), die engagiert den Aufbau botanischer Forschungsinstitutionen im vorstaatlichen Israel vorantrieben. Die Bearbeitung dieses originellen Themas an der Schnittstelle von Wissenschaftsgeschichte, Umweltgeschichte und Jüdischer Geschichte erforderte einen disziplinären und methodischen Brückenschlag, der in intensive und sehr erfreuliche Kooperationen mündete, sowie in Aufbau neuer Strukturen: Die Wissenschaftsgeschichte ist inzwischen aktives Mitglied im „Zentrum für Israel-Studien“ an der LMU, das deutschlandweit einzige Forschungszentrum mit dieser Orientierung. Aus dem Blickwinkel der Botanischen Zionisten wird die Geschichte der Verwandlung Palästinas um 1900 erzählt: ein Prozess, in dem sich Politik, Nationenbildung und Wissenschaft verbinden. Wissenschaft und Technik, so wird argumentiert, konnten zumindest teilweise die fehlenden politischen, finanziellen und militärischen Ressourcen der Zionisten kompensieren und das zionistische Siedlungsprojekt in ideologischer und praktischer Hinsicht befördern. Die in mehreren Sprachen vorliegenden Quellen wurden v.a. in israelischen Archiven aufgesucht und in weiten Teilen erstmals ausgewertet. Wie das Projekt zeigt, wurden die Landschaft und Natur Palästinas von den Botanischen Zionisten als Ressource betrachtet. Die Botanischen Zionisten warben für die Produktivierung Palästinas und bemühten sich um den Aufbau einer entsprechenden Infrastruktur, mit finanzieller Unterstützung aus Europa und den Vereinigten Staaten. Als fruchtbar erwies es sich, die Rhetorik der Akteure ernst zu nehmen und ihr Bestreben als „Kolonial-“ und „Kolonisierungsprojekt“ zu begreifen. So erklärt sich ein großer Teil der Handlungen der Akteure, für das sie bewährte Vorbilder in Deutsch-Ostafrika und anderen Ortes fanden. Ein wesentlicher Schritt in diesem Projekt war die Inventarisierung des Landes; Naturschätze, Bodenarten, meteorologische Daten, Pflanzen und Tieren wurden erfasst, kartiert und gesammelt. Die gewonnenen Wissensbestände dienten dabei auch zur Legitimation des angestrebten Judenstaates: Die Zionisten eigneten sich das Land symbolisch an, indem sie es erforschten. Einzelne Spezies standen im Vordergrund, die dem Jischuw sowohl ideologisch als auch praktisch besonders nutzten. Exemplarisch dafür steht die Wiederentdeckung des Wilden Emmers oder Urweizens, der von den Botanischen Zionismus als jüdische Entdeckung gepriesen wurde und dem Jischuw politisch zuspielen sollte. Neben der diskursiven Bedeutung der Botanischen Zionisten trugen sie indes auch handgreiflich zur Geschichte Palästinas (bzw. später Israels) bei. Die Untersuchung und Umgestaltung der hebräischen Flora reflektierte die Agenda des Botanischen Zionismus: Wälder wurden angelegt, neue Zier- und Nutzpflanzen eingeführt, einheimische Arten durch Züchtung optimiert. Wie das Projekt herausarbeitet, war diese „hebräische Flora“ in weiten Teilen das Ergebnis extensiver angewandter Forschung in landwirtschaftliche Versuchsstationen.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
- Die Entdeckung des Urweizens: Wissen zwischen ideologischer und praktischer Anwendung in Palästina. In: Zeitschrift für Agrargeschichte und Agrarsoziologie 2 (2014), S. 42-54
Suffrin, Dana v.
- Die Pflanzen, der Zionismus und die Politik: Aaron Aaronsohn auf der Suche nach dem Urweizen. In: Münchner Beiträge zur Jüdischen Geschichte und Kultur 1 (2014), S. 48-65
Nickelsen, Kärin; Dana von Suffrin
- Religion, Science and Nationalism in Conflict: Botanical Zionism in Palestine around 1900. In: Alfieri, Fernanda und Kärin Nickelsen (Hg.) Science and Religion. Revisiting a Complex Relationship. Bologna und Berlin 2017 (=Annali dell’Istituto storico italo-germanico in Trento/Yearbook of the Italian-German Institute in Trient 43 2017/1), S. 115-136
Suffrin, Dana v.
(Siehe online unter https://dx.doi.org/10.7387/86914) - The Humanities between Germany and Israel (= Special Issue; deutsch und englisch, Naharaim. Zeitschrift für deutsch-jüdische Literatur- und Kulturgeschichte) 11 (2017) 1-2
Nickelsen, Kärin; Irene Aue Ben-David; Michael Brenner
(Siehe online unter https://doi.org/10.1515/naha-2017-frontmatter1-2) - Pflanzen für Palästina! Otto Warburg und die Naturwissenschaften im Jischuw, 1900-1930“ (Schriftenreihe wissenschaftlicher Abhandlungen des Leo Baeck Instituts, 80) Tübingen: Mohr Siebeck, 2019. 277 S.
Suffrin, Dana v.