Experimentelle Charakterisierung der chemischen Bindungen in Bor und borreichen Verbindungen
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Die polymorphen Formen von Bor und borreichen Verbindungen basieren oft auf einem ikosaedrischen Cluster von zwölf Boratomen (B12 Cluster). So kann α-B12 als eine rhomboedrisch verzerrte kubisch dichteste Kugelpackung (ccp) mit den B12 Clustern als "Kugeln" verstanden werden. Borcarbid B13C2 hat die gleiche Anordnung von B12 Clustern, aber mit zusätzlich linearen Ketten C–BC–C, zentriert in den Oktaederlücken. Die Hochdruckphase γ-B28 basiert auf eine stärker, orthorhombisch verzerrte ccp von B12 Clustern mit B5–B5 "Hanteln" in den Oktaederlücken. Gemäß den Wade Regeln werden 26 der 36 Valenzelektronen für multicenter Bindungen auf B12 benutzt. Es bleiben zwölf, laut Elektronenstrukturrechnungen senkrecht zur Oberfläche stehende Valenzorbitale, aber nur zehn Valenzelektronen. Als Lösung dieses verbleibenden Elektronendefizits von Bor haben wir in früheren Arbeiten eine symmetrische 2-Elektronen-3-Zentren (2e3c) Bindung zwischen Boratomen BE aus drei Clustern in α-B12 festgestellt und eine ionisch-kovalente 2e3c Bindung zwischen Boratomen eines Clusters und B5 in γ-B28 identifiziert. Unterschiedlich gekrümmte Bindungspfade zeigten die Orbitalordnung auf B12 Clustern. Für Borcarbid aus einer Hochdruck-Hochtemperatur-(HPHT)-Synthese haben wir mit Röntgenbeugung ein Multipolmodell für die genaue Elektronendichte bestimmen können. Analyse dieses Modells ergab die exakte Stoichiometrie B13C2 mit B12 Clustern und C–BC–C Ketten. Dieses Modell weicht essentiell von jenem in der Literatur ab, wo immer B/C Unordnung auf den Clustern angenommen wurde und ist anscheinend das Ergebnis der speziellen HPHT Synthese. Die genaue Elektronendichte bestätigte Orbitalordnung auf den B12 Clustern, hier mit 2e2c Bindungen zwischen BP Atomen benachbarter Cluster und ionisch-kovalenten 2e2c BE–C Bindungen zwischen BE Atomen eines Clusters und C Atomen. Das Elektronendefizit von Bor ist in B13C2 dadurch gelöst, dass BC zwei Elektronen an das B12 Cluster abgegeben hat. Das zweifach positive BC ist in der Elektronendichtekarte sehr klein und ist eingequetscht zwischen den beiden, negativ geladenen C Atomen. Es wurde eine Methode für die Berechnung des elektrostatischen Potentials (ESP) innerhalb von Kristallen aus deren dynamischen Elektronendichten entwickelt und auf die genauen Elektronendichten von α-B12, γ-B28 und B13C2 angewandt. Das dynamische ESP hat lokale Maxima von 30–65 Elektronen/Å auf den Lagen der Atome. Das ESP auf der Hirschfeldoberfläche der B12 Cluster bestätigte die Orbitalordnung und korrelierte mit den Bindungstärken. Substanzübergreifend wurde ein Minimalwert des ESPs von -1.1 e/Å gefunden, welcher ein, durch die ganze Kristallstruktur hindurchgehendes Volumen von negativem ESP darstellt. Das akzeptierte Strukturmodell für β-B106 besteht aus B12 Ikosaedern, zentriert auf den Ursprung und auf die Mitte der Kanten der primitiv-rhomboedrische Elementarzelle. Zentriert in der Zelle liegen B28–B–B28 Doppelcluster. Dazwischen liegen 5 teilbesetzte Atomlagen ("POS"). Genaue Elektronendichte Untersuchungen an mit HPHT Synthese hergestelltem β- B106 haben ergeben, dass wir tatsächlich das Subhydrid B105H3 bekommen hatten. B105H3 hat das gleiche Gerüst wie β-B106, welches aber verzerrt ist (Verlust des Inversionszentrums) und hat nur einen POS. Die Dichte von B105H3 lässt sich im Rahmen der Literatur über β-B106 genau durch die Anwesenheit von H Atomen erklären.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
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"Disorder and defects are not intrinsic to boron carbide." Scientific Reports 6, 19330 (2016)
S. Mondal, E. Bykova, S. Dey, Sk Imran Ali, N. Dubrovinskaia, L. Dubrovinsky, G. Parakhonskiy and S. van Smaalen
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"The electrostatic potential of dynamic charge densities." J. Appl. Crystallogr. 50, 1627–1636 (2017)
C. B. Hübschle & S. van Smaalen
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"Electrostatic potential in crystals of α-boron, γ-boron and boron carbide." Z. Kristallogr. 233, 663-673 (2018)
C. B. Hübschle & S. van Smaalen