Das Mittelrheintal als imaginary landscape. Imagination und Gestaltung einer Landschaft als Auseinandersetzung mit der sozialen und politischen Ordnung in der Moderne, ca. 1750-2010
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Das Projekt ging von der Hypothese aus, dass Fragen der sozialen Ordnung in einer spezifischen Phase der Moderne (ca. 1780 bis 1960) auf gewisse Landschaften gespiegelt werden konnten. Nicht die Realität einer solchen Landschaft war entscheidend, sondern inwieweit sie als Projektionsfläche dienen konnte. Die Geografie geht mittlerweile nicht mehr davon aus, das „Wesen“ einer Landschaft erfassen zu können, sondern sieht Landschaften als in Rezeptionsprozessen unterschiedlicher Art konstruiert. Historiker haben, auch angeregt durch die jüngere Raumsoziologie, sich diese Perspektive zu eigen gemacht. In diesem Sinne versucht das Projekt nicht, die Landschaftsgeschichte des Mittelrheins („Romantischer Rhein“) seit der Antike zu rekonstruieren. Vielmehr war es das Ziel, am Beispiel des Mittelrheins zu zeigen, welche Rolle Imaginationen einer Landschaft für die politisch-soziale Identität haben und wie vielschichtig sie im Laufe von zwei Jahrhunderten ausfallen konnten. Abweichend vom ursprünglichen Konzept wurde das Projekt um zwei Landschaften erweitert, nämlich um die schwedische Provinz Dalarna sowie um Nord-/Südengland. Dadurch konnten die Projektergebnisse konturiert und in ihrer Besonderheit präziser eingeschätzt werden. Nachdem der Rhein bis in die Neuzeit v.a. als Wirtschafts- und Verkehrsraum wahrgenommen und genutzt wurde, setzte um 1800 seine Romantisierung und Politisierung ein. Er wurde zum Symbol für eine große deutsche Vergangenheit und zugleich zu einem geopolitischen Akteur in den politischen Auseinandersetzungen mit Frankreich stilisiert. Bis in die Zwischenkriegszeit diente der Fluss als Medium, die deutsche Frage in einer internen (deutsche Identität) und einer externen Variante (politischer Raum) zu verhandeln. Gleichzeitig wurden Fragen der gesellschaftspolitischen Identität im Dualismus „Individuum“ vs. „Masse“ und „Land“ vs. „Stadt“ auf widersprüchliche Weise verflochten und im Medium der Landschaft verhandelt. In der Nachkriegszeit verlor der Mittelrhein seine mythischen Qualitäten. Heute gilt er v.a. als Indikator für extreme Wetterereignisse bzw. ist als Teil des UNESCO-Welterbes zu einer reflexiven Landschaft geworden, in der Bewahrung eines historisch-kulturellen Erbes und wirtschaftlich-soziale Entwicklung austariert werden müssen.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
- Landschaft, Tourismus und Nation. Imaginary landscapes als Medien des inneren nation building in der Moderne, in: Geschichte und Gesellschaft 45, 2019, S. 275-296
Thomas Etzemüller
(Siehe online unter https://doi.org/10.13109/gege.2019.45.2.275) - Der Rhein, in: Enzyklopädie der Neuzeit Online, Im Auftrag des Kulturwissenschaftlichen Instituts (Essen) und in Verbindung mit den Fachherausgebern herausgegeben von Friedrich Jaeger
Thomas Etzemüller
(Siehe online unter https://dx.doi.org/10.1163/2352-0248_edn_com_408596)