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Das »ferne Kind«: Religiöses Engagement und die Globalisierung von Familie, 1840-1930

Antragstellerin Dr. Katharina Stornig
Fachliche Zuordnung Neuere und Neueste Geschichte (einschl. Europäische Geschichte der Neuzeit und Außereuropäische Geschichte)
Förderung Förderung von 2013 bis 2020
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 242772659
 
Erstellungsjahr 2020

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Das Projekt ging zunächst von der Beobachtung aus, dass im deutschsprachigen Europa des 19. Jahrhunderts mehrere religiöse Vereine gegründet wurden, die mit großem Erfolg wohltätige Handlungen zugunsten von Kindern in geografisch fernen Weltregionen propagierten. Dabei standen zu Beginn v.a. der deutsche Zweig des katholischen Werks der heiligen Kindheit, die evangelischen Hilfsvereine der Norddeutschen Missionsgesellschaft und die katholische St. Petrus Claver Sodalität im Zentrum der Betrachtung; eine Auswahl die bald um einige afrikaorientierte Vereine des späten 19. Jahrhunderts erweitert wurde, welche unter kolonialen Vorzeichen bzw. Rahmenbedingungen gegründet worden waren. Ziel des Projekts war es zu untersuchen, inwiefern diese Hilfsvereine bereits Strukturen, Diskurse und Praktiken des Helfens entwickelten, die auch im Kontext der neu gegründeten internationalen Kinderhilfswerke des 20. Jahrhunderts (z.B Save the Children Fund, SOS Kinderdörfer) eine Rolle spielten. Das Projekt ging von der These aus, dass die Vereine, inspiriert von spezifischen historischen Vorstellungen von Kindheit und Familie, »ferne Kinder« zu besonderen Objekten der (christlichen) Wohltätigkeit machten. Diese These konnte weitestgehend bestätigt bzw. weiter präzisiert werden. Wie gezeigt werden konnte, beförderte das zeitgenössische europäische Verständnis von Kindern als grundsätzlich »gut«, »unschuldig« und »erziehbar« die (temporäre) Überbrückung von (z.B. religiöser, sozialer, kultureller oder ethnischer) Differenz zwischen den Helfenden in Europa und den Empfangenden ihrer Hilfe in Asien und Afrika. Es ermöglichte eine Art Solidarisierung mit »fernen Kindern«, führte jedoch gleichzeitig zur Abgrenzung bzw. Differenzierung von »fernen Erwachsenen«; eine Konstellation, die trotz inhaltlicher Verschiebungen über den gesamten Untersuchungszeitraum in der einen oder anderen Form beobachtet werden konnte. Das Projekt konnte darüber hinaus zeigen, dass die Vereine insgesamt wesentlich zu einer geografischen Neuorientierung und insbesondere einer (nachhaltigen) Internationalisierung der Wohltätigkeit im 19. Jahrhundert beitrugen und somit auch zu wichtigen Akteuren in einem Feld wurden, das im 20. Jahrhundert als transnationale Hilfe bezeichnet werden sollte. Ihre Aktivitäten und Deutungen, so ein zentrales Argument, waren für die Geschichte der späteren Kinderhilfswerke von hoher Relevanz. Das Projekt konnte erstaunliche historische Entwicklungslinien und Bezugnahmen in der Geschichte des kinderorientierten Helfens aufzeigen. Im Besonderen wurde gezeigt, dass die untersuchten Vereine die Herausbildung von einer Reihe von Strukturen, Diskurse und Praktiken beförderten, die für beides – die transnationale Hilfe und die besondere Rolle, die Kinder in dieser längerfristig spielen sollten – entscheidend war. Um die skizzierte historische Entwicklung analytisch zu beschreiben, entwickelte das Projekt die These von der Entstehung einer »Kultur des Helfens« im Untersuchungszeitraum. Diese »Kultur des Helfens« verweist auf das langfristige Ineinanderwirken von Strukturen und Diskursen, Orientierungen, Werthaltungen, Ideen, Bedeutungszuschreibungen und Interpretationen, welche diverse Handlungen des Helfens organisierten und in welchen Geschlechterkonstruktionen und insbesondere geschlechtsspezifische Vorstellungen von Familie, Elternschaft und Eltern-Kind-Beziehungen eine zentrale Rolle spielten.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

 
 

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