Physische Geographie - Sprachlichkeit - Bildlichkeit: Zur Frage des Verstehens der Erdnatur.
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Ausgangspunkt des Projekts war die Frage, wie die Erscheinungen der Erdnatur, denen sich die Physische Geographie widmet, in ihrer Prozessualität verstanden werden können. Diese Frage sollte auf eine Weise angegangen werden, die die naturwissenschaftliche Physische Geographie an eine geisteswissenschaftliche Ebene rückbindet, indem hermeneutisch-phänomenologisch geprägte Verständnisse von Sprachlichkeit und Bildlichkeit unter kritischem Einbezug poststrukturalistischer Positionen „aufgegriffen“ und in Form einer grundlagentheoretischen Auseinandersetzung mit der Physischen Geographie umgesetzt werden. Hinsichtlich des dazu notwendigen Materials lag der Fokus auf textlichen Materialien (bekanntlich betrifft „Bildlichkeit“ in der hermeneutisch-phänomenologischen Tradition nicht nur visuelle Bilder). Ursprüngliches Ziel war es, auf diese Weise ein neues Licht auf den Begriff physisch-geographischer Beschreibung zu werfen und die bisherigen Forschungsprogramme der Physischen Geographie (und anderer erdbezogener Naturwissenschaften) um ein geisteswissenschaftlich-grundlagentheoretisches Paradigma zu ergänzen, zu denen sie in produktiver Spannung stehen könnten. Im Laufe der Zeit stellte sich heraus, dass die Tragweite des Projektes viel größer war, als ursprünglich angenommen: Statt sich alleine auf eine bisher unthematisierte gebliebene Ebene physisch-geographischen Tuns zu beschränken, auf der sich die Gegenstände dieses Tuns, die Naturgebilde der Erde, überhaupt erst herausbilden, bahnte sich im Zuge des Schreibens diesbezüglicher Texte immer mehr die Möglichkeit an, einen Geographiebegriff zu entwerfen, der zwar auch den Vollzug physisch-geographischen Tuns betrifft (und die Physische Geographie gegenüber ihren Nachbarwissenschaften neu zu positionieren vermag), der aber zugleich über die Grenzen der Physischen Geographie, ja sogar der Disziplin der Geographie selbst, weit hinaus geht. So wurde der Begriff einer „Geographie im starken Sinne“ entwickelt und entfaltet, der es nicht nur ermöglicht, den Wert und das Potenzial der bisherigen Erfahrungen und Materialien des Fachs (samt seiner Irrwege) völlig neu zur Darstellung zu bringen und fruchtbar werden zu lassen. Zusätzlich (und zugleich) beschreibt der Begriff einer „Geographie im starken Sinne“ eine Möglichkeit, eine geisteswissenschaftliche Kultur des Texteschreibens zu fördern und zu pflegen, deren Aufgabe es ist, auf der Basis unseres unauflöslichen Bezugs zur Erdnatur Möglichkeitsräume fruchtbarer und notwendiger Erfahrungs-, Darstellungs-, Gestaltungs- oder Wissenskrisen aufzuspannen, welche uns auf unsere eigene Verantwortung und Identität zurückwerfen und somit nachhaltige Veränderungen auslösen können. Dies gilt insbesondere (aber nicht ausschließlich) in Bezug auf eine nachhaltige Veränderung hin in Richtung auf „nachhaltige“ Mensch-Natur-Verhältnisse. Somit stellt der Entwurf einer „Geographie im starken Sinne“ unter anderem auch einen aus den Potenzialen der Geographie erwachsenden Lösungsansatz für das Problem dar, dem sich die Nachhaltigkeitsforschung neuerdings zu stellen genötigt sieht: nämlich dem Problem, dass die Ergebnisse der bisherigen Forschung und der Vermittlungsweisen der Nachhaltigkeitsforschung nicht zu den notwendigen Änderungen der »Mentalitäten, Routinen, Gewohnheiten und Deutungsmuster« der Menschen führen und stattdessen »identitätsträchtige Zugänge« zu entwickeln sind. „Die Ergebnisse“ des geographiegrundlagentheoretischen Projekts sind daher von höchster gesellschaftlicher Relevanz und fallen auf fruchtbaren Boden.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
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(2005): Fragwürdigkeit und Eigensinn der Geographie. Geographische Zeitschrift 93, 4, S. 201-220
Zahnen, Barbara
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(2007): Lesen, Zeitlichkeit und das Geographische der Physischen Geographie. Geographische Zeitschrift 95, 1+2, 72-90
Zahnen, Barbara
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(2008): Das implizite Wissen der Erdwissenschaftler. Ein Beitrag zur Ästhetik und Geschichtlichkeit Physischer Geographie. Berichte zur Deutschen Landeskunde 82, 2, S. 173- 190
Zahnen, Barbara
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(2008): Schleichende Risiken als geographisches Problem der Zeit. Ein Beitrag zur Theorie der Geographie. Geographische Revue 10, 1, S. 15-29
Zahnen, Barbara
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(2011): Geographievergessenheit. Divinatio - Studia Culturologica Series 34, S. 199-228
Zahnen, Barbara
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(2011): Vollzug und Sprache Physischer Geographie und die Frage geographischen Takts. Social Geography 6, S. 47-61
Zahnen, Barbara
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(2012): Bethinking oneself of the risk of (physical) geography. In: Müller-Mahn, D. (Ed.): The spatial dimension of risk. How geography shapes the emergence of riskscapes. Earthscan from Routledge, London, S. 172-188
Zahnen, Barbara
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(2012): Kollektiv Erdbewohner. Das geographische Wir. Zeitschrift für Medienund Kulturforschung, 2, S. 167-184
Zahnen, Barbara