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Islamische Missionierung in Kontinentaleuropa: Ahmadiyya auf den Spuren der Globalisierung (1920-1990)

Fachliche Zuordnung Religionswissenschaft und Judaistik
Islamwissenschaft, Arabistik, Semitistik
Förderung Förderung von 2013 bis 2019
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 237291247
 
Erstellungsjahr 2019

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Ziel der Untersuchung war es, die Mission der beiden Ahmadiyya-Organisationen in Europa zu erforschen und in den Horizont der Globalisierung zu stellen. Dabei sollten die Spannungen zwischen den beiden Organisationen, die jede für sich den Alleinanspruch auf eine globale Botschaft religiöser Erneuerung erhob, untersucht, ihre Mission im Kontext antikolonialer Bestrebungen von Muslimen in Europa gestellt, und die Mission als Beitrag zur Reform des Islam (Muslim Modernity) befragt werden. Die Sichtung der vorhandenen Quellen machte deutlich dass in der Zwischenkriegszeit die (kleinere) Ahmadiyya Organisation in Lahore (AAIIL) auf dem europäischen Kontinent Gehör fand, während der Gemeinschaft der Ahmadiyya Jamaat (AMJ) dies nur im Rahmen des britischen Empires in England gelang. Warum begeisterte sich gerade die (bildungs-) bürgerliche Schicht in Kontinentaleuropa für den von der AAIIL vertretenen ‚modernen’ Islam? Warum gab es so viele Juden in der Missionsgemeinde? Welche Dynamik entfaltete sich? Zahlreiche neue Archivfunde rückten die Mission der AAIIL weiter ins Zentrum. Um sich ein Bild davon zu machen, was 1923, 1933, 1938, 1942 und 1945, um nur einige herausragende Momente zu nennen, auf den Straßen deutscher und europäischer Städte geschah, um auch die Lebensumstände und Geistesverfassungen der Protagonisten in den Blick zu bekommen, wurden zusätzlich Memoiren, Biographien und Romane gesammelt und für die Kontextualisierung des Missionsgeschehens im Alltag herangezogen. Der Fokus lag auf Indern und Europäern, die die Ahmadiyya Mission als Plattform für die Begegnung nutzten. Um herauszufinden welche Elemente diese Begegnung ermöglichte, machten wir uns auf die Suche nach Quellen die ein Licht werfen konnten auf die Debatten, Freundschaftsnetzwerke, Ehen und gegenseitigen Wahrnehmungen zwischen beiden. Die Forschung schließt eine Lücke zwischen Globalgeschichte, deutsch-indischen Beziehungen, deutscher Lebensreform und muslimischen Intellektuellen in Europa in der Zwischenkriegszeit. Sie rekonstruiert die Mikro-Strategien, mit denen die Beteiligten die Globalisierung im Zeitalter des Kolonialismus durch die Adaption des Islam im eigenen Leben realisierten. Sie verändert außerdem unser Verständnis von "Islam in Deutschland", dessen Beginn bislang in der Arbeitsmigration gelegt wurde, und schließt es an die Globalgeschichte um 1900 an. Die Bandbreite der jüdisch-muslimischen Begegnungen im Kontext der Ahmadiyya Mission im Berlin der Zwischenkriegszeit war Fokus der zweiten Forschungsperiode. Eine Bandbreite erstellen zu wollen, stand anfangs im schroffen Gegensatz zur geschichtlichen Tiefe mancher Quellen. Daraus ergab sich ein spannungsreiches Verhältnis. Sollte die Auswertung des jeweiligen Archivs Herkunft, Fragen der Identität und Weitergabe in den Vordergrund stellen? Oder sollten die Schnittpunkte der Interaktion in den Vordergrund gestellt und danach gefragt werden, welche Voraussetzungen die jüdisch-muslimische Interaktion begünstigten? Letztendlich wurden beide Wege beschritten. Der Oettinger-Nachlass zwang dazu, „diese“ Familiengeschichte in den Kontext der Geschichte der preußischen Juden zu stellen und nachzuzeichnen, wie die Entscheidungen der vorherigen Generationen die Begegnung mit dem Islam vorbereitet haben. Aus der Zusammenschau von sechs verschiedenen Privatarchiven ergab sich dann eine Perspektive auf die ganze Bandbreite des jüdisch-muslimischen Netzwerkes. Die Interaktion zwischen Muslimen und Juden in der Zwischenkriegszeit hatte viele Wurzeln. Zum einen bot Berlins Westen mit seinen vielen muslimischen Vergnügungslokalen eine gute Gelegenheitsstruktur. Zum anderen trat, zusätzlich zur Ahmadiyya Mission, eine Reihe von indischen Missionaren in Erscheinung, die stets die prinzipielle Gleichheit aller Zivilisationen predigten. Ihre Botschaft sprach deutschen und europäischen Juden aus dem Herzen. In jedem Zusammentreffen gab es außerdem zahlreiche kreative interkulturelle Missverständnisse. Ob nun Männer und Frauen über 'neue' Menschen in Partnerschaften diskutierten; ob indische Muslime und deutsche Lebensreformer zusammen die Seele als Ort der Vereinigung erörterten; ob russische Jüdinnen zusammen mit indischen Gandhi-Anhängern daran arbeiteten, die weltweite koloniale Unterdrückung abzuschaffen; ob Berliner Schwule zusammen mit indischen Aristokraten in der Moschee zum Gebet knieten: ohne das "tertium Datum" der Zukunftsprojektion, der jedem/r genügend Raum für eigene Vorstellungen ließ, wären all diese Begegnungen nicht möglich gewesen.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

  • “‘God helps those who help themselves’ – Minting new men in the Berlin mosque kitchen”. In: The Hope Bulletin. Lahore Ahmadiyya Publication (12/2017), 2 - 4
    Gerdien Jonker
  • ‘Etwas hoffen muß das Herz’. Eine Familiengeschichte von Juden, Christen und Muslimen. Göttingen: Wallstein Verlag, 2018
    Gerdien Jonker
  • “Lisas Things. Matching Jewish-German and Muslim-Indian Traditions.’ In: Objects of War: The Material Culture of Conflict and Displacement, edited by Leora Auslander and Tara Zahra (Ithaca: Cornell, 2018), 279 - 310
    Gerdien Jonker
  • „Ahmadiyya-Gemeinschaft, islamisch.“ In: Lexikon für Kirchen- und Religionsrecht (LKRR), Leiden: EJ Brill (November 2018)
    Gerdien Jonker
  • „Die vergessene Geschichte des Islam in Bayern“. In: Muslime in Bayern, hg. von Matthias Rohe. Sonderheft Akademie Aktuell (2/2018), 18 - 24
    Gerdien Jonker, Nina Nowar und Stephanie Müssig
  • „Friedhof, islamisch.“ In: Lexikon für Kirchen- und Religionsrecht (LKRR), Leiden: EJ Brill (März 2019)
    Gerdien Jonker
 
 

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