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Vom Zeitzeugen zum professionellen Schauspieler Personalisierungsstrategien des Historischen im Fernsehen an der Epochenschwelle zum 21. Jahrhundert

Fachliche Zuordnung Neuere und Neueste Geschichte (einschl. Europäische Geschichte der Neuzeit und Außereuropäische Geschichte)
Förderung Förderung von 2013 bis 2019
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 228622483
 
Erstellungsjahr 2019

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Geschichte im Film ist omnipräsent und erfreut sich größter Beliebtheit bei den Zuschauer*innen. Dieser Trend wurde und wird von der Geschichtswissenschaft kritisch betrachtet, da solche Filme vermeintlich ein zu einfaches und einseitiges Bild von Vergangenheit entwerfen. Die Kritik am Inhalt verknüpft sich häufig mit der Sorge, Mediennutzer*innen könnten diese Bilder eins zu eins verinnerlichen und bestehende „Geschichtsbilder“ könnten auf diese Weise problemlos verändert oder gar überschrieben werden. Gleichzeitig war und ist über den tatsächlichen Umgang von Zuschauer*innen mit filmischen Geschichtsdarstellungen wenig bekannt. Das Projekt "Vom Zeitzeugen zum professionellen Schauspieler" setzte an dieser Stelle an. Es fragte danach, wie genau Zuschauer*innen „Geschichte im Film“ begegnen und mit ihr interagieren. Auf der Suche nach Antworten setzte das Projekt auf einen innovativen Methodenmix, in dem Ansätze aus der Geschichts-, Film-, Sozial-, der Medien- und Kommunikationswissenschaft integriert wurden. So konnten die Spezifika audiovisueller Inszenierungen und das Handeln der Rezipient*innen gleichermaßen in den Blick genommen werden. Die Handlungsweisen der Zuschauer*innen, angefangen von simplen Modifikationen am Filmskript bis hin zu komplexen Erlebnisformen wie Identifikation und Empathie, mit filmischen Geschichtsdarstellungen wurden umfänglich beschrieben und systematisiert. Der Umgang mit filmischen Geschichtsangeboten durch ihre Rezipient*innen stellte sich dabei als höchst individuell und facettenreich dar. Das Projekt konnte rund 70 Modi von Handlungspraktiken, von anschließenden Mechanismen und Phänomenen der Rezeption sowie deren Folgen und Effekte herauspräpapieren. Die Rezipient*innen selegieren, verändern und fokussieren die Angebote in Abhängigkeit von ihren eigenen Erfahrungen und vor allem vor den Horizonten ihres historischen Wissens, das sie in die Rezeption einbringen. Diese Faktoren prägen den Rezeptionsprozess stärker als das mediale Angebot selbst. Unterschiede zwischen den Filmgattungen des Spielfilms und der Dokumentation fallen dabei fast gar nicht ins Gewicht. Das historische Wissen der Rezipient*innen lässt sich dabei auch nicht durch intensives Erleben oder Empathie ins Wanken bringen. Keine der Rezipient*innen hat sich durch einen Film wider eigenen, "besseren Wissens" von etwas anderem „überzeugen“ lassen. Dies gilt auch für historisches Wissen, das im Widerspruch zur etablierten Geschichtsschreibung steht. Die Sorge, Filme zu historischen Themen könnten die Vorstellungen der Rezipient*innen von der dargestellten Vergangenheit maßgeblich prägen oder sogar umprägen, ist unbegründet. Filme können jedoch bestehendes Wissen bestätigen und verfestigen. Die kritische Auseinandersetzung steht und fällt dabei nicht nur mit dem historischen Wissen des Publikums, sondern auch mit dem Willen oder der Entscheidung, dieses nutzen zu wollen. Filme mit historischem Inhalt sind nicht nur Geschichtsdarstellungen, sondern auch Filme, die der Unterhaltung dienen – und in diesem Sinne interagieren die Mediennutzer*innen mit ihnen. Ob die dargestellte Vergangenheit 'historisch gelesen und verstanden' wird, liegt im Ermessen der Rezipient*innen. Das „Historische“ im Film ist im Prozess der Rezeption de facto eine Option des Publikums.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

  • Auf Spurensuche vor Ort? – Objekte, Dinge, Überreste und Gedenkstättenarbeit, in: Justus H. Ulbricht (Hrsg.): Schwierige Orte. Regionale Erinnerung, Gedenkstätten, Museen, Halle (Saale) 2013, S. 43-61
    Yvonne Kalinna
  • Der 9. November - Gedenktag zwischen Geschichtspolitik und Erinnerungskultur, in: Stiftung Gedenkstätten Sachsen-Anhalt (Hrsg.): Erinnern! Aufgabe, Chance, Herausforderung, 2/2013, Magdeburg, S. 27-42
    Yvonne Kalinna/Andreas C. Matt
  • Lehre interdisziplinär – Ein Projektseminar zur geschichtswissenschaftlichen und soziologischen Erforschung von Gedenkstätten, in: Ulrike Senger et al (Hrsg): Projektlehre im Geschichtsstudium. Verortungen, Perspektiven und Berichte, Bielefeld 2015, S. 321-340
    Björn Bergold/Yvonne Kalinna/Marija Stanisavljevic
  • Geschichtsaneignung in der Mediengesellschaft des 21. Jahrhundert. In: Inszeniert: Deutsche Geschichte im Spielfilm, hrsg. von der Stiftung Haus der Geschichte Berlin. Bielefeld/Berlin 2016, S. 30-39
    Silke Satjukow
  • Hybride Geschichte und Para-Historie. Geschichtsaneignungen in der Mediengesellschaft des 21. Jahrhunderts, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 66 (2016), H. 51, S. 12-18
    Rainer Gries/Silke Satjukow
  • Wie Storys zu History werden – Die Rolle von Zeitzeugen bei der Authentifizierung von Zeitgeschichte im Spielfilm durch jugendliche Zuschauer und Zuschauerinnen, in: Monika Waldis/Béatrice Ziegler (Hrsg.), Forschungswerkstatt Geschichtsdidaktik 15. Beiträge zur Tagung "Geschichtsdidaktik empirisch 15", Bern 2017, S. 67-77
    Björn Bergold
  • "Wie kann denn der Sieger ein Verbrecher sein?": Eine diskursanalytische Untersuchung der russlandweiten Debatte über Konzept und Verstaatlichungsprozess der Lagergedenkstätte "Perm'-36" im Ural, Stuttgart 2019
    Anke Giesen
  • Wie Stories zu History werden. Zur Authentizität von Zeitgeschichte im Spielfilm, Bielefeld 2019
    Björn Bergold
 
 

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