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Ziviler Widerstand zwischen kollektivem Selbstschutz und lokaler Befriedung - Friedensgemeinden in den Gewaltkonflikten Kolumbiens und Guatemalas

Fachliche Zuordnung Ethnologie und Europäische Ethnologie
Förderung Förderung von 2012 bis 2018
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 223503294
 
Erstellungsjahr 2017

Zusammenfassung der Projektergebnisse

In den Gewaltkonflikten Guatemalas (1960-1996) und Kolumbiens (1964-Gegenwart) wurde die Zivilbevölkerung gezielt Opfer von der Gewalt sowohl nicht-staatlicher als auch staatlicher bewaffneter Akteure. Unter solchen Bedingungen sehen sich Zivilpersonen in Regel gezwungen entweder mit den bewaffneten Akteuren zu kollaborieren oder die Konfliktregion zu verlassen. Dieses Projekt untersuchte zwei Dörfer, die Friedensgemeinde San José de Apartadó in Kolumbien und die Widerstandgemeinde Primavera del Ixcán in Guatemala, die sich organisiert haben um dieser Konfliktdynamik zu widerstehen. Ziel des Projektes war es, die Dörfer bezüglich ihrer Entstehung, Entwicklung und Persistenz zu untersuchen, wozu die internen politischen und ökonomischen Strukturen, Strategien und Funktionen, sowie die weltanschaulichen Praktiken, diskursiven Präsentationen, biographischen Erfahrungen und die Bedeutung von Vergangenheit und Erinnerung ethnographisch analysiert wurden. Der Vergleich von zwei Fällen trug dazu bei ihr Transformationspotential hinsichtlich der lokalen Konfliktdynamiken zu bestimmen und auch das theoretische Verständnis von gewaltfreien Widerstand weiter zu entwickeln. Die Ergebnisse des Projektes haben gezeigt, dass die Geschichte beider Gemeinden von Migration, Neuanfang, autonomer Entwicklung, Verfolgung, Repression und Widerstand geprägt ist. Die Fähigkeit eigene Interessen zu artikulieren sowie Strategien und Strukturen aufzubauen, und des Weiteren dabei nicht auf die Unterstützung staatlicher Institutionen zu vertrauen bzw. gar mit Verfolgung durch diese zu rechnen, scheinen Faktoren zu sein, die die Entstehung dieser Gemeinden ermöglicht haben. Ihre Persistenz sichern sie durch eine ausgeprägte und an ihre Bedingungen angepasste interne politische und ökonomische Organisation, sowie durch Mobilität, Bevölkerungsfluktuation, alltägliche Erinnerungspraktiken und die Unterstützung (inter-)nationaler Solidaritätsnetzwerke. Durch ihr Agieren konstituieren diese Gemeinden eine dritte Position in der lokalen Konfliktdynamik, eben die der Zivilbevölkerung, die von den bewaffneten Akteuren nicht respektiert wird. Dadurch entziehen sie sich nicht nur der dichotomen Freund-Feind-Logik der bewaffneten Akteure, sondern stellen die Logik selbst in Frage. Durch hohe politische Partizipation, solidarische Wirtschaft, Aufbau lokaler Infrastruktur, Gewaltfreiheit etc. schaffen sie es, in ihrem lokalen Kontext Konfliktpotentiale zu reduzieren, die auf nationaler Ebene als Konfliktursachen gesehen werden, wodurch sie zu einem Beispiel für ‚peacebuilding from below‘ werden. Ihre Existenz stützen sie auf die im Humanitären Völkerrecht festgeschriebene Unterscheidung zwischen Kombattanten und Zivilisten, und fordern von den bewaffneten Akteuren genau den Respekt und Schutz ein, die darin für die Zivilbevölkerung festgeschrieben sind. Da ihr übergeordnetes Ziel damit die Realisierung existierender Gesetze und Rechte ist, kann man diese Gemeinden als eine radikale Form rechtmäßigen Widerstandes verstehen. Die kritische Reflexion von Forschungsmethoden zur Aufarbeitung von politischer Gewalt wurde zu einem unerwarteten Thema dieses Projektes. Das Rekonstruktion von Orten in Modellen anhand derer die Gewaltgeschichte einer Gemeinde beschrieben und nachgestellt werden kann, scheint eine fruchtbare Ergänzung zu etablierten Methoden wie der individuellen Erhebung von Testimonios oder Lebensgeschichten zu sein. Eine Folgeuntersuchung hierzu würde sich genauso lohnen, wie eine Folgeuntersuchung zur Entwicklung solcher lokalen Friedensinitiativen, wie der Gemeinde San José de Apartadó, im Kontext des aktuellen Friedensprozesses in Kolumbien. Deutsche Welle. Colombia: proceso de paz en turbulencias. Philipp Naucke interviewt von José Ospina-Valencia, 2015 (http://dw.com/p/1H7V4) Radio Mixticius Bogotá. Guatemala. Resistencia en el Post-Conflicto. Semejanzas y Aprendizajes. Philipp Naucke als Gast im Radioprogramm ‘Villa Realidad’, 2015 (http://www.mixticius.net/index.php/villa-realidad/457-villa-realidad-63-31-07-2015)

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

  • (2017) Peacebuilding and conceptualisations of the local. Soc Anthropol (Social Anthropology) 25 (4) 422–436
    Bräuchler, Birgit; Naucke Philipp
    (Siehe online unter https://doi.org/10.1111/1469-8676.12454)
  • (2017) Peacebuilding upside down? How a peace community in Colombia builds peace despite the state. Soc Anthropol (Social Anthropology) 25 (4) 454–469
    Naucke, Philipp
    (Siehe online unter https://doi.org/10.1111/1469-8676.12447)
  • (2015). Kolumbiens Weg zum Frieden. Die Verhandlungen zwischen der Regierung und der FARC-Guerilla bedürfen internationaler Begleitung. SWP-Aktuell 2015/A 50, Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik
    Naucke, Philipp; Maihold, Günther
  • (2016). Die Macht der Schwachen - Über Handlungsmöglichkeiten von Zivilpersonen in den Gewaltkonflikten Kolumbiens und Guatemalas. Zeitschrift für Ethnologie Vol. 141(1), 101-122
    Naucke, Philipp
  • (2016). Resistencia legítima frente al conflicto colom-biano. Una reflexión teórica a partir de una Comunidad de Paz. Revista de Antropología Social 25(1), 9-33
    Naucke, Philipp; Halbmayer, Ernst
  • (2017). The Memory of Resistance. Historicity and Remembrance in a Colombian Peace Community. The Latin Americanist 61(2), 145-168
    Naucke, Philipp
    (Siehe online unter https://doi.org/10.1111/tla.12127)
 
 

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