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Leistungsstreben. Konstruktion, Vermessung und Erfahrung individueller Schaffenskraft in Deutschland un Großbritannien um 1900

Antragstellerin Dr. Nina Verheyen
Fachliche Zuordnung Neuere und Neueste Geschichte (einschl. Europäische Geschichte der Neuzeit und Außereuropäische Geschichte)
Förderung Förderung von 2013 bis 2018
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 221464442
 
Erstellungsjahr 2019

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Woher wissen Menschen, wieviel sie im Vergleich zu anderen leisten, und warum ist ihnen ihre Leistung wichtig – beziehungsweise das, was sie selbst und andere dafür halten? Das Projekt untersucht diese Frage in sozialkonstruktivistischer und historischer Perspektive. Es schließt methodisch-theoretisch im Kern an Überlegungen von Thomas L. Berger und Peter Luckmann über die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit an und geht davon aus, dass interpersonale Leistungsunterschiede nicht bereits existieren, bevor sie wahrgenommen, bewertet und eventuell belohnt werden, sondern dass solche Akte der Wahrnehmung, Bewertung und Belohnung interpersonale Leistungsunterschiede erst sozial konstituieren. Daher richtet das Projekt seinen analytischen Fokus vor allem auf soziale Praktiken aus dem Feld der Erwerbsarbeit, der Bildung und dem Freizeitbereich, die individuelle Leistungen vordergründig erheben, diese faktisch aber immer auch herstellen. Diese werden als „Leistungspraktiken“ bezeichnet und zusammen mit Leistungssemantiken und „Leistungsreflexionen“ untersucht, worunter öffentlichen Debatten über den Stellenwert von Leistung im Sozialen gefasst werden. Räumlich und zeitlich widmet sich das Projekt Deutschland im Verlauf des langen 19. und des frühen 20. Jahrhunderts, wobei die Dekaden um 1900 im Fokus stehen und die Perspektive punktuell transnational geweitet wird. In dieser Zeit – so das zentrale Argument – breiteten sich in zahlreichen Praxisfeldern entweder neue Leistungspraktiken aus oder die bestehenden Leistungspraktiken gewannen eine größere soziale Reichweite, so dass es zunehmend zu einer selbstverständlichen Alltagserfahrung breiter Bevölkerungsgruppen wurde, dass ihre ganz persönliche Leistung sowohl erhoben als auch zur Leistung anderer Personen in eine quantifizierend-hierarchische Beziehung gesetzt wurde. Diese Entwicklung wurde zeitgenössisch durchaus kritisch reflektiert, während gleichzeitig das Wort „Leistung“ sowohl in der wissenschaftlichen wie der politisch-sozialen Sprache zu einer einflussreichen Unschärfeformel avancierte. Insgesamt erhielt es eine stark physikalische Prägung, das auf die von einem Individuum geleistete Arbeit pro Zeit verwies, obwohl sich andere, gegenläufige Bedeutungen weiterhin hielten oder in Spezialbereichen sogar an Einfluss gewannen. So wurde ein etymologisch weit zurückgehendes sozial-reziprokes Verständnis von Leistung als Gegenstand einer wechselseitigen und gegebenenfalls vertraglichen Verpflichtung sowohl im bürgerlichen wie im öffentlichen Recht verankert, auf diese juristische Dimension allerdings zunehmend auch reduziert. Anstatt diese Entwicklung monokausal erklären zu wollen, verweist das Projekt auf eine Vielzahl von begünstigenden Faktoren, zu denen die beginnende „Verwissenschaftlichung des Sozialen“ (Lutz Raphael) ebenso gehörte wie unter anderem eine zunehmende Verdichtung transnationaler und globalhistorischer Verflechtungen bei gleichzeitigen Versuchen nationalstaatlicher Schließung. Gleichzeitig richtet es sich dagegen, eine zunehmende alltagspraktische Ausrichtung auf Leistung auf Effekte der Kommodifzierung zu reduzieren oder diese primär als Ausdruck einer „Verbürgerlichung“ zu lesen. Teile der gebildeten Eliten zeigten sich der systematischen Ausbreitung von „Leistungspraktiken“ im Alltag ambivalent gegenüber, auch weil das ihren eigenen Lebensstil zu unterwandern und die Sozialstruktur zu sehr zu dynamisieren schien. Einige der Ergebnisse wurden für ein breiteres Publikum aufbereitet und in einem populärwissenschaftlichen Sachbuch publiziert: Nina Verheyen, Die Erfindung der Leistung, Hanser Berlin 2018. Dieses Buch ist mehrfach ausgezeichnet und breit rezipiert worden. Es liegt inzwischen als Lizenzausgabe der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft und der Bundeszentrale für politische Bildung vor. Nominierung Longlist NDR Kultur Sachbuchpreis; 3. Platz Sachbuch-Bestenliste Die Zeit, Deutschlandfunk Kultur, ZDF März 2018; 3. Platz Sachbuch-Bestenliste ORF, NZZ, Die Welt April 2018; 5. Platz Bücherempfehlungen Perlentaucher März 2018 Zeit Online (Bernd Kramer, 18.4.2018), Deutschlandfunk (Ute Welty, 22.2.2018), Deutschlandfunk Kultur (Kerstin Hildebrandt, 19.2.2018), Philosophie Magazin (Dominik Erhard, 5/2018), Psychologie heute (Klaus Wilhelm, 2018), WDR 3 (Daniel Finkernagel, 13.3.2018), WDR 5 (Jürgen Wiebicke, 4.5.2018), WDR 5 (Achim Schmidt-Forte, 12.4.2018), 3Sat Forum/Leipziger Buchmesse (Eva Schmidt, 15.3.2018), Taz Studio/Leipziger Buchmesse (Tania Martini, 15.32018), Krautreporter (Esther Göbel, 5.3.2018), Radio Bremen (Anja Robert, 24.3.2018), Augsburger Allgemeine (Sarah Schierack, 12.3.2018), VDI Nachrichten (Wolfgang Schmitz, 19.7.2018), Rheinische Post (Phillip Holstein, 3/2018), Kurier (Ulla Grünbacher, 10.3.2018), ORF Kultur (Harald Wilde, 23.4.2018), Magazin trend (Martina Bachler, 5/2018), BR Bayern 2 (Dagmar Schwermer, 2.5.2018), Der Bund (Bernhard Ott, 16.6.2018).

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

 
 

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