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Migration und Komik - Soziale Funktionen und konversationelle Potentiale von Komik und Satire in den interethnischen Beziehungen Deutschlands

Antragstellerin Dr. Halyna Leontiy
Fachliche Zuordnung Empirische Sozialforschung
Förderung Förderung von 2012 bis 2019
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 219830730
 
Erstellungsjahr 2020

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Hauptergebnisse/Überraschungen auf der Ebene der Bühnenkomik: Beim Vergleich zwischen deutsch-türkischer und russlanddeutscher Bühnenkomik lässt sich ein Ungleichgewicht feststellen: Die russlanddeutsche Bühnenkomik, vertreten hauptsächlich durch wenige Laienkünstler/innen, findet zumeist mit Ausschluss der Öffentlichkeit in Vereinen statt und zeichnet sich durch die Tradierung von typischen sowjetischen Bühnenformaten und Performanzstilen aus. Obwohl sich diese Künstler/innen am aufklärerischen wissensvermittelnden Anspruch des Kabaretts orientieren und mit dem Wissen des Publikums arbeiten, unterscheiden sie sich sowohl in Performanzstilen, Formaten, kultureller Passung und im Grad der Professionalisierung von den in Deutschland gängigen Formaten, was die fehlende Etablierung russlanddeutscher Bühnenkomik in Deutschland erklärt. Sie kann im Rahmen der Analyse als pädagogisch, exotisierend, pathetisch, oder als „Auftragskabarett“ bezeichnet werden. Neben der Wissensvermittlung und Aufklärung bei den wenigen, öffentlichen Integrationsveranstaltungen erfüllt das russlanddeutsche Kabarett, gerichtet an die Community eigener Landsleute, vielmehr eine erzieherische, normierende und akkulturalisierende Funktion und verhilft zur Verarbeitung eigener, sich durch mehrfache Brüche, enttäuschte Erfahrungen und Kulturschock auszeichnende Migrationserlebnisse. Dagegen ist die deutsch-türkische Bühnenkomik durch professionelle Künstler/innen zweier Generationen auf etablierten öffentlichen Groß- und Kleinkunstbühnen vertreten. Sie ist stilistisch breit ausgefächert, zumeist an der breiten Öffentlichkeit (weniger an der eigenen Community) ausgerichtet und erfüllt eine Bandbreite von Komik-Funktionen. Da die Komikformate und Performanzstile von deutsch-türkischen Künstler/innen mit denen autochthon deutscher Künstler/innen kompatibel sind, genießen sie in Deutschland eine große Beliebtheit. Deutsch-türkische Komiker/innen fokussieren sowohl alltagsweltliche als auch politische Inhalte und agieren oft mit einer für das Kabarett-Format typischen, aufklärerischen Absicht. In Abgrenzung zur Mainstream-EthnoComedy erheben sie allesamt einen Authentizitätsanspruch. Allerdings besteht dabei ein Spannungsverhältnis zwischen diesem Anspruch und den Bedingungen des deutschen Comedy/Kabarett-Marktes, der mit ethnischen Klischees und Stereotypen operiert. Es gehört zu den nicht voraussehbaren Ergebnissen des Projekts, dass die Bühnenkomik ethnischer Minderheiten den Zwängen des „Komik-Marktes“ folgt, was die Wirkung der Komik einschränkt. Wie die Interviews mit den Künstler/innen zeigen, sind sie sich dessen bewusst und operieren mit kreativen Strategien der Performanz und Publikumsarbeit. Es war bei der Konzeption des Projekts davon ausgegangen, dass die Bühnenkomik von ethnischen Minderheiten allein von intrinsischen Motiven der Aufklärung geleitet wird. Hauptergebnisse/Überraschungen auf der Ebene der Alltagskomik: Mikrosoziologische empirische Forschung mit dem Fokus auf Komik ermöglicht einen sehr tiefen Einblick in die Lebenswelt des Alltags, die die Mitglieder von Migrantengruppen zeitlich, räumlich und sozial teilen und die einen Interaktionsraum darstellt. Eine mikroanalytische hermeneutisch-interaktionistische Perspektive erlaubt eine feinmaschige Analyse der heterogenen Identitätsaushandlungen, inner- und intergenerationellen Beziehungen und von Prozessen der Verhandlung zentraler Werte und Normen. Diese verlaufen keineswegs konfliktfrei und prozessieren zumeist im Modus des Ernst-Unernsten bzw. Unernst-Ernsten in Funktion der Korrektur des Inkorrekten, der psychischen Entlastung und Konfliktschlichtung. Die Kommunikation im Komik-Modus stellt eine codierte Kommunikationsform dar, die es im Rahmen dieses Projekts zu entschlüsseln galt. Insgesamt zeichnen sich im Datenmaterial sowohl im Bereich der postmigrantischen Jugendgruppen als auch der Mehrgenerationenfamilien eine starke Heterogenität in Bezug auf die Kategorien Geschlecht, Generation, Bildung, soziales außerfamiliäres Umfeld, persönliche Interessen und Religionspraxis sowie folgende Tendenzen ab: Ein starkes Festhalten an Familientraditionen der Elterngeneration gehen Hand in Hand mit kultureller und bildungsbezogener Diversität, individueller Lebensführung und Streben nach einem hohen sozioökonomischen Status. Diese gehen wiederum mit den Tendenzen zur Selbstsegregation einher, denen im Rahmen von in diesem Bericht angesprochenen weiterführenden Forschungsprojekten nachgegangen werden soll.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

 
 

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