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Das optimierte Geschlecht? Soziologische Explorationen zur (Neu)Kodierung der Geschlechterdifferenz am Beispiel der 'Schönheitschirurgie'

Fachliche Zuordnung Empirische Sozialforschung
Förderung Förderung von 2012 bis 2015
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 219485539
 
Erstellungsjahr 2015

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Wie wird die kosmetische Chirurgie ‚verkauft’? Wie wird sie als geeignete Lösung angepriesen – und für welches Problem überhaupt? Wer wird von einschlägigen Homepages der ‚beauty’-Kliniken adressiert? In einem der beiden Projektstränge wurde diesen Fragen nachgegangen. Soziologisch formuliert fragte dieser empirische Teilbereich, welche diskursiven Muster sich anhand der Internet-Präsentationen von kosmetischen Chirurgen/innen in Deutschland nachzeichnen lassen und wie die angeboten Verfahren erklärt werden. Das Untersuchungssample von knapp 100 Webseiten wurde mit Fokus auf geschlechtliche Dimensionen diskursanalytisch ausgewertet. Die Studie verdeutlicht, dass sich die Webseiten in mehrfacher Hinsicht als Körpertechnologien beschreiben lassen. Sie informieren nicht nur über Verfahren und vermitteln so Vorstellungen von körperbezogener Veränderbarkeit, sondern sie setzen bei den Nutzer/innen der Webseiten selbst an und entfalten reflexive Wirkungen über die Kombination aus Bildern, Texten und vorhandenem Vorwissen. Es zeigt sich, dass das untersuchte Bildmaterial überwiegend Ausschnitte ‚weiblicher’, ‚weißer’ und ‚schlanker’ Körper darbietet und diese als stets verbesserungswürdige Ergebnisse andauernden Eingriffe nahelegt. Die Körperteile werden zudem mehrheitlich ohne weitere zwischenmenschliche oder zeit-räumliche Bezüge inszeniert und suggerieren so den einfachen strategischen Zugriff auf den eigenen Körper (Stichwort: ‚Rohstoffisierung’). Gegenüber der bildlichen Zerstückelung von Körpern rufen die untersuchten Textbezüge hingegen psychosomatische Ganzheitlichkeit und ‚Wohlgefühl’ auf. Im Kontext der angebotenen kosmetischen Machbarkeit erscheint der eigene Körper damit als selbstbestimmte Lebensstil-Entscheidung. Insgesamt zeigte sich weiterhin, dass ästhetisch-plastische Eingriffe (insbesondere die der Intimchirurgie) ganz ähnlich wie das jüngst diskutierte Social Freezing überwiegend mit dem feministischen Vokabular der Neuen Frauenbewegung aus den 1970er Jahren beworben werden: Selbstbestimmung, Autonomie und die Möglichkeit, mit Hilfe chirurgischer Technik die eigene Biologie zu überkommen. Die Ärzte/innen inszenieren sich dabei als einfühlsame Assistent/innen und Berater/innen. Nicht der chirurgische Eingriff steht im Mittelpunkt der Websites, sondern die angemessene Beratung zur informierten, selbstbestimmten und aufgeklärten Entscheidung. Ein zweiter Projektstrang fragte danach, ob verschiedene Milieus in verschiedenen Teilen Deutschlands die kosmetische Chirurgie unterschiedlich deuten und bewerten. Gibt es Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland? Finden junge Menschen Schönheits-OP’s besser als ältere? Oder finden Männer das ungewöhnlicher als Frauen? Hierzu wurden Gruppendiskussionen mit Menschen aus verschiedensten sozialen Milieus durchgeführt, der Fokus der Auswertung lag auf den Deutungsmustern. Die Analyse zeigte vor allem milieuübergreifende Muster in der Verhandlung von Schönheitschirurgie. Dabei dominierte ein Natur-Kultur-Dualismus als Rahmen, in dem Schönheitschirurgie stets als eine kulturelle Praxis gedeutet wurde, die einer „alten“ Idee der Menschheit neue Wirkungsräume eröffne: den als naturgegeben verstandenen Körper kulturell zu unterwerfen. Auch der Dualismus zwischen weiblich und männlich spielte eine konstitutive Rolle. Laut den Gruppen sei ein gesamtgesellschaftlicher Trend erkennbar, die die Verwischung der Geschlechtergrenzen umfasst (bspw. Metrosexualität). Gegen diesen Trend stehe nun die Zunahme schönheitschirurgischer Eingriffe, da durch diese vor allem geschlechtliche Merkmale (Busen, Po etc.) und damit Ideale von Weiblichkeit und Männlichkeit erneut unterstrichen würden. Ästhetisch-plastische Chirurgie führe, so die gruppenübergreifende Deutung, daher eher zu einer erneuten Verschärfung der Geschlechtergrenzen. Auch die Frage nach der Legitimität war von großer Bedeutung. So wurden etwa Schönheitschirurgen/innen durchgängig delegitimiert, da sie sich nicht auf die Gesundheit, sondern auf Lifestyle konzentrierten. In allen Gruppen war schließlich erkennbar, wie die Kritik an der ‚entgrenzten’ Medizin zur Distinktion gegenüber den damit verbundenen Schönheits- und Körperidealen diente.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

  • (2013): Prekäre Körper in prekären Zeiten - Ambivalenzen gegenwärtiger somatischer Technologien des Selbst. In: Mayer, Ralf/ Thompson, Christiane/ Wimmer, Michael (Hg.): Inszenierungen und Optimierungen des Selbst. Wiesbaden: VS Springer, S. 57-74
    Villa, Paula-Irene
  • (2013): Rohstoffisierung. Zur De-Ontologisierung des Geschlechtskörpers. In: John, René/Rückert-John, Jana/Esposito, Elena (Hg.): Ontologien der Moderne. Wiesbaden: VS Springer, S. 225-240
    Villa, Paula-Irene
  • (2013): Same Same But Different: Intimmodifikationen zwischen Zwang und Selbstbestimmung. In: McPherson, Annika/Paul, Barbara/Pritsch, Sylvia/Unseld, Melanie/Wenk, Silke (Hrsg.): Wanderungen. Migrationen und Transformationen aus geschlechterwissenschaftlichen Perspektiven. Bielefeld: transcript, S. 35–50
    Meßmer, Anna-Katharina
  • (2013): Tight is right. In: Borkenhagen, Ada/Brinkschulte, Eva/Brähler, Elmar (Hrsg.): Homo plasticus – Psychosoziale Aspekte schönheitschirurgischen Enhancements. Psychosozial 132. Gießen: Psychosozial Verlag
    Meßmer, Anna-Katharina
  • (2013): Und gut, dann ändert man halt seinen Körper. Intimchirurgie zwischen Medikalisierung und Rohstoffisierung. In: Gender. Zeitschrift für Geschlecht, Kultur und Gesellschaft 5, S. 9–23
    Meßmer, Anna-Katharina
  • (2014): Der Körper ist eine Baustelle. In: Philosophie Magazin 3/2014 (April/Mai), S. 45-47
    Villa, Paula-Irene
  • (2015): Intimchirurgie im „Fernsehen der Mikropolitiken“. In: Prommer, Elizabeth/Schuegraf, Martina/Wegener, Claudia (Hrsg.): Gender – Medien – Screens. (De)Konstruktionen aus wissenschaftlicher und künstlerischer Perspektive, Konstanz: UVK, S. 131–145
    Meßmer, Anna-Katharina
 
 

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