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Molekulardynamische Charakterisierung der Verteilung, Struktur und Dynamik wässrig-organischer Lösungsmittelgemische in hydrophilen Mesoporen

Fachliche Zuordnung Technische Chemie
Chemische und Thermische Verfahrenstechnik
Förderung Förderung von 2012 bis 2017
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 219178812
 
Erstellungsjahr 2017

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Ein detailliertes Verständnis der sich auf molekularer Ebene abspielenden Wechselwirkungen und Dynamiken an und in chromatographischen Grenzflächen existierte zu einer Zeit, in der die HPLC bereits technisch ausgereift und in der Praxis verbreitet war, noch nicht. In jüngerer Zeit haben molekulare Simulationsmethoden eine Visualisierung und Quantifizierung der Prozesse ermöglicht, die in der HPLC Retention und Selektivität bewirken. Sie haben damit wesentlich zu einem fundamentalen Verständnis und einer (synthetisch sowie experimentell) differenzierteren Auslegung der chromatographischen Grenzfläche als einer speziellen Form der Fest-Flüssig-Phasengrenze beigetragen. Dieser Antrag konzentrierte sich darauf, mithilfe von MD-Simulationen Statik und Dynamik der Grenzfläche in der HILIC zu beleuchten, einer HPLC-Methode, die im letzten Jahrzehnt enorm an Bedeutung gewonnen hat. Hier gelang es uns, entscheidende Charakteristika von HILIC- Grenzflächen sowie deren Implikationen für die Stofftrennung herauszuarbeiten und daraus ein leistungsstarkes Retentionsmodell abzuleiten. Klarheit und Fülle der Ergebnisse dieses Projekts ermöglichen ein fundamentelles Verständnis der HILIC, was durch die traditionelle (heuristisch geprägte) Denk- und Arbeitsweise in der chromatographischen Praxis nicht erreicht werden konnte. Die erworbenen Erkenntnisse zur Ausdehnung und Dynamik der so zentralen Wasserschicht in der HILIC macht ein molekular-geprägtes Denken und Arbeiten (insbesondere für Chemiker) greifbarer, geradezu antizipierbar; man hat jetzt genau diese Wasserschicht und ihre Abhängigkeit von diversen experimentellen Parametern, vor allem der Zusammensetzung der mobilen Phase, die von uns sehr detailliert untersucht worden ist, viel besser vor Augen. Damit sollte sich nicht nur der Verlauf von HILIC-Stofftrennungen an sich besser vorhersagen lassen, sondern auch der Einfluß experimenteller Parameter auf diese Stofftrennungen. Wesentliche Merkmale bei der Generierung der chromatographischen Grenzflächen in diesem Projekt waren die Oberflächenchemie (Zahl und Art der Silanolgruppen; Funktionalisierung mit Diol-Gruppen) sowie Porengeometrie und -größe. Das Absichern aller Charakteristika (z.B. Oberflächenbelegung, Restsilanolaktivität) durch Literatur-bekannte Kenngrößen verlieh den Simulationen die nötige Praxis-Relevanz. Die verwendeten Kraftfelder und mögliche „finite-size effects“ waren von Dritten oder uns selbst evaluiert worden. Somit sind nicht nur die Simulationssysteme an sich, sondern auch die mit ihrer Hilfe gewonnenen Ergebnisse als verlässlich einzustufen. Die wesentliche Erkenntnis aus diesem Projekt ist die allgemeine, intrinsische Selektivität funktionaler Oberflächen bezüglich den Komponenten eines binären (oder auch ternären) Lösungsmittelgemisches, welche zur lokalen Anreicherung einer Komponente führen kann. Das hat weitreichende, oft unterschätzte Konsequenzen für die Eigenschaften der Oberfläche, die lokale Verteilung und Mobilität von Lösungsmittelmolekülen und Analyten und damit auch für chromatographische Kenngrößen wie Retention und Effizienz. Vielmehr noch, derartige Effekte haben allgemeingültigen Charakter, z.B. auch für katalytische Systeme, in denen die Oberfläche mit mehreren Lösungsmittelkomponenten der mobilen Phase unterschiedlich stark wechselwirkt und dadurch eine „interface“-Region generiert, die zuletzt noch lokale Aktivität und Reaktivität beeinflusst (z.B. lokale Konzentrationen, die in Reaktionsgleichungen und andere Bilanzen einfliessen). Solche Effekte und Konsequenzen haben die Simulationen aus diesem Antrag am Beispiel der HILIC deutlich aufgezeigt. Die gesamte „interface“-Region in der HILIC und RPLC (lediglich zwei Beispiele, die den selektierenden Einfluß einer Oberfläche reflektieren) ist ein integraler/zentraler Bestandteil der Fest-Flüssig-Phasengrenze. Unsere detaillierten Arbeiten zu den funktionellen Gruppen der Kieselgeloberfläche und zur Diol-modifizierten Kieselgeloberfläche einerseits und zur Zusammensetzung der binären/ternären mobilen Phase andererseits haben den Response der oberflächennahen Wasserschicht im Hinblick auf Ausdehnung und Mobilität geradezu plastisch dargestellt und ein konsistentes Bild geformt. Dieses Bild der Wasserschicht in der HILIC wurde in ein hierarchisches Modell für den Stofftransport im Festbett adaptiert, welches die analytspezifische Retention in der HILIC besser zu deuten vermag. Weil auch jene Arbeit für die Gutachter interessant sein könnte, ist sie ebenfalls mitgeschickt. Somit spannt sich der Bogen von der Simulation der chromatographischen Grenzfläche bis zur makroskopischen Retention von Analyten in der HILIC-Praxis. Darüberhinaus konnten wir in diesem Projekt erstmals Existenz und molekularen Ursprung der Oberflächendiffusion in der RPLC und ihre Abwesenheit in der HILIC durch Zusammensetzung und strukturelle Organisation der mobilen Phase in der „interface“-Region (Region II) der beiden Systeme erklären. Damit ist das Tor für systematisch weiterführende Untersuchungen zur Dynamik, Retention und Selektivität in der RPLC mithilfe von MD-Simulationen geöffnet. Insbesondere wäre es möglich, bisher unbeantwortete Fragestellungen anzugehen, die häufig kontrovers diskutiert werden. Dazu zählt z.B. die Betrachtung typischer Analyten: Wie sieht das Bild für realistische kleine Analyten in der RPLC (Alkylbenzole, polyzyklische Aromaten) aus? Wie hängt die Oberflächendiffusion mit der Retention der Analyten zusammen? Und wieviel trägt die Oberflächendiffusion der Analyten zur effektiven Porendiffusion bei? Auch ist es sehr interessant zu verstehen, wie sich das „Oberflächendiffusionsphänomen“ in der RPLC dann beim Übergang vom linearen in den nichtlinearen Teil der Adsorptionsisotherme gestaltet. Wie macht sich Überladung in den Dichteprofilen bemerkbar? Wie ändert sich das Bild in Abhängigkeit von Porengeometrie und Oberflächenmodifizierung? Lassen sich Retention (Henry-Limit, lineare Adsorption) und Sättigungsbelegung bzw. Mehrlagenadsorption realistisch abschätzen? – Eignen sich die molekularen Simulationen umgekehrt für eine Vorhersage von Adsorptionsisothermen und der Transportdynamik und somit für eine gezielte, computerbasierte Planung von Oberflächenmodifikationen? – Ein herausforderndes, sehr spannendes Arbeitsfeld für MD-Simulationen im Bereich der Verfahrenstechnik. Derartige Fragestellungen sind für mich Gegenstand weiterer DFG-Anträge aus meiner Gruppe in der nahen Zukunft.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

  • Adsorption of water-acetonitrile mixtures to model silica surfaces. J. Phys. Chem. C 2013, 117, 6620–6631
    S. M. Melnikov, A. Höltzel, A. Seidel-Morgenstern, U. Tallarek
    (Siehe online unter https://doi.org/10.1021/jp312501b)
  • How ternary mobile phases allow tuning of analyte retention in hydrophilic interaction liquid chromatography. Anal. Chem. 2013, 85, 8850– 8856
    S. M. Melnikov, A. Höltzel, A. Seidel-Morgenstern, U. Tallarek
    (Siehe online unter https://doi.org/10.1021/ac402123a)
  • Evaluation of aqueous and nonaqueous binary mixtures as mobile phase alternatives to water-acetonitrile mixtures in hydrophilic interaction liquid chromatography by molecular dynamics simulations. J. Phys. Chem. C 2015, 119, 512–523
    S. M. Melnikov, A. Höltzel, A. Seidel-Morgenstern, U. Tallarek
    (Siehe online unter https://doi.org/10.1021/jp511111z)
  • A molecular dynamics view on hydrophilic interaction chromatography with polar-bonded phases: Properties of the water-rich layer at a silica surface modified with diol-functionalized alkyl chains. J. Phys. Chem. C 2016, 120, 13126– 13138
    S. M. Melnikov, A. Höltzel, A. Seidel-Morgenstern, U. Tallarek
    (Siehe online unter https://doi.org/10.1021/acs.jpcc.6b03799)
  • A new view on surface diffusion from molecular dynamics simulations of solute mobility at chromatographic interfaces. Fluid Phase Equilib. 2016, 407, 177–187
    J. Rybka, A. Höltzel, S. M. Melnikov, A. Seidel-Morgenstern, U. Tallarek
    (Siehe online unter https://doi.org/10.1016/j.fluid.2015.05.040)
 
 

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