Modellierung der beim Gehen und Laufen induzierten Lasten für den Gebrauchstauglichkeitsnachweis von Fußgängerbauwerken und Deckenkonstruktionen
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Das in aktuellen Normen und technischen Richtlinien verwendete Lastmodell zur Beschreibung der vertikalen Einwirkungen infolge menschlicher Lokomotion unterstellt in idealisierter Näherung ein perfekt rhythmisches Bewegungsverhalten mit identischen Lastmustern und Bewegungsparametern für das rechte und linke Bein. Resonante Tragwerksreaktionen können dann nur entstehen, wenn die Schrittfrequenz oder deren ganzzahlige Vielfache mit einer Eigenfrequenz des Tragwerks zusammenfallen. Im ersten Projektabschnitt konnte bereits gezeigt werden, dass diese Annahme wenig wirklichkeitsnah ist und zu einer Unterschätzung der Tragwerksreaktionen führen kann. Die natürliche Lokomotion weist zusätzliche Lastanteile im zwischenharmonischen Bereich auf, die insbesondere für Tragwerke mit Eigenfrequenzen außerhalb des unmittelbaren Bereiches der Schrittfrequenzen maßgebend werden können. Diese bisher unberücksichtigten Lasteinträge ergeben sich infolge grundlegender individueller Unterschiede zwischen rechts und links und zufälliger Abweichungen in sowohl den Last- als auch Bewegungsparametern von Schritt zu Schritt. Auf Grundlage einer umfassenden und qualitativ hochwertigen Datenbasis aus Experimenten mit einem aktiven Laufsteg ist es gelungen, für die beiden Lokomotionsformen Gehen und Rennen wirklichkeitsnahe Modellierungsmethoden unter Berücksichtigung der intraindividuellen Variabilität zu entwickeln. Der komplexe Lastzeitverlauf für das Gehen wird über konditionierte Spline-Funktionen angenähert, dabei werden als Eingabeparameter pro Schritt jeweils 9 Lastamplituden und sieben relative Zeitpositionen verwendet. Die Modellvalidierung erfolgt auf Basis von Schwingungsberechnungen eines Einfeldträgers mit variierenden Eigenfrequenzen infolge des realen und modellierten Lastzeitverlaufs. Verglichen werden dabei maximalen Beschleunigungsantworten für jeweils gleiche Niveaus der Nicht-Überschreitenswahrscheinlichkeit. Die Ergebnisse belegen, dass das konditionierte Spline-Modell in der Lage ist, wirklichkeitsnahe bzw. leicht konservative Abschätzungen auch für relativ seltene Ereignisse der Tragwerksbeschleunigungen bis Eigenfrequenzbereiche von etwa 15 Hz zu liefern. Entsprechend eignet sich das Modell somit auch für die Berechnung hochfrequenter Decken in z.B. einer schwingungssensitiven Laborumgebung. Das vereinfachte Modell für Rennen basiert auf einem Halbsinuspuls, der unabhängig vom LAufstil die Lasteinträge annähert. Die Validierung zeigt, dass mit diesem Ansatz wirklichkeitsnahe Abschätzungen der Beschleunigungen bis zu Eigenfrequenzen von 6 Hz erzielt werden können. Entsprechend kann dieses Modell unmittelbar für die Gebrauchstauglichkeitsuntersuchung von Fußgängerbauwerken verwendet werden. Mit dem im ersten Projektabschnitt erarbeiteten wahrscheinlichkeitstheoretischen Modell für die Beschreibung eines Läuferstroms auf Basis von aufgezeichneten Transponderdaten existiert für das Untersuchungsszenario Marathonlauf somit ein vollständiges Tool für die Analyse der Gebrauchstauglichkeit von in den Streckenverlauf vorgesehenen Fußgängerbrücken. Am Beispiel des komplexen Lastmodells fürs Gehen wird eine effektive und leistungsfähige Simulationsstrategie zur Generierung eines zufälligen Lastzeitverlaufs für eine Schrittfolge erarbeitet, die sowohl die interindividuellen als auch die intraindividuellen Abweichungen in den Gang- und Lastparametern berücksichtigt. Insbesondere gelingt es dabei, die inneren Zusammenhänge der Amplitudenund Zeitinformationen einschließlich der jeweiligen Abhängigkeiten zum Leitparameter Schrittfrequenz vollständig zu beschreiben. Über die intensiven Forschungsarbeiten des Forschungsteam EKIB zu dem Thema ‚Schwingende Fußgängerbrücken’ sind in den letzten Jahren Presseberichte sowie Radio- und Fernsehbeiträge entstanden. Überregionales Interesse hat dabei ein Großversuch mit im Gleichschritt marschierenden Soldaten erzielt, der unter anderem von einem Kamerateam des ProSieben Wissensmagazins Galileo begleitet wurde. Für das Kinder- und Jugendmagazin pur+ wurde im November 2013 ein der Altersgruppe angemessener Beitrag erstellt, in dem das Phänomen der Resonanz anschaulich erläutert wird, Brückenschwingungen gezeigt und schließlich Nutzerreaktionen abgefragt werden.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
- (2012) Structural Vibrations due to human locomotion, Proc. 7th ICCSM - International Congress of Croatian Society of Mechanics, Zadar, Croatia, May 22 - 25, 2012
Sahnaci, C. & Kasperski, M.
- (2013) Menscheninduzierte Einwirkungen auf Tragwerke infolge der Lokomotionsformen Gehen und Rennen: Analyse und Modellierung, Dissertationsschrift, Ruhr-Universität Bochum, Fakultät für Bau- und Umweltingenieurwissenschaften, Dezember 2013
Sahnaci, C.
- (2014) Prediction of the vibrations of pedestrian structures under random pedestrian streams, Proc. Eurodyn 2014, Porto, Portugal, June 30 – July 2, 2014
Sahnaci, C. & Kasperski, M.