Die Mutter des Soldaten: Öffentlicher Raum und individuelle Gefühle im 19. und 20. Jahrhundert
Final Report Abstract
Wie keine andere zivile Bevölkerungsgruppe waren die Mütter und Ehefrauen der 13 Millionen deutschen Soldaten durch den Ersten Weltkrieg betroffen, sie mussten ihre Söhne und Ehemänner in den Krieg ziehen lassen und zugleich den häufig sehr schwierigen Familienalltag bewältigen. Im Zentrum der hier zusammengefassten Untersuchung standen vor allem die Mütter der Soldaten, da nur ein gutes Drittel der männlichen deutschen Kriegsteilnehmer verheiratet war und die Mütter bislang kaum betrachtet wurden. In der Untersuchung wurde im ersten Teil danach gefragt, wie sich die Umdeutung der „guten Mutter“ zur „tapferen Kriegermutter“ zu Beginn des Ersten Weltkriegs vollzog. Daran anschließend wurden in einem zweiten Teil die Alltags-, Verlust- und Trauererfahrungen der Angehörigen und deren Repräsentation beschrieben. In einem dritten Teil ging es schließlich um die Repräsentation dieser spezifisch weiblichen Kriegserfahrung in den Erinnerungs- und Gedenkkulturen der Zwischenkriegszeit. Dabei zielte die Analyse auf eine Darstellung der normativen Vorgaben und ihrer Verschränkung mit emotionalen und lebensweltlichen Erfahrungen weiblicher Familienangehöriger im Ersten Weltkrieg und in der Zwischenkriegszeit. Um diese Gefühlsregime zu erfassen, hat die Untersuchung mit dem Modell des emotionalen Regimes von William M. Reddy gearbeitet: Er beschreibt damit ein System von normativen Gefühlsstilen, das durch kollektive Rituale und Zeremonien, aber auch durch Strafen und Exklusionen geprägt ist. Propaganda und Kriegsliteratur entwarfen das hegemoniale Gefühlsregime der besorgten und tapferen Mutter. Frauen und vor allem weibliche Familienangehörige sollten der Kriegsgesellschaft als „Gefühlsspeicher“ erhalten bleiben. Das hatte auch Auswirkungen auf die Trauerpraktiken im Todesfall, diesen Gefühlen wurde durchaus Raum gegeben, trotz einiger radikaler Postulate. Doch Trauergefühle sollten nicht zu stark öffentlich gezeigt werden. Das emotionale Regime der stillen Trauer wurde zur einflussreichen Pathosformel und seine Etablierung hatte langfristige gesellschaftliche Folgen für die Hinterbliebenen. Im Vergleich mit anderen Staaten blieben die Hinterbliebenen im Weimarer Staat ohne repräsentative Funktion und ohne entscheidenden politischen Einfluss. Die Nationalsozialisten instrumentalisierten die an den Rand gedrängten Hinterbliebenen in spezifischer Weise. Dabei sprachen sie vor allem die „Kriegermütter“ an. Sie inszenierten schon weit vor dem Zweiten Weltkrieg einen umfangreichen Heldenmutter-Kult für die Soldatenmütter des Ersten Weltkriegs. Zudem setzten sie symbolpolitische Maßnahmen in gezielter Weise ein, wie etwa 1934 das Ehrenkreuz für Hinterbliebene.
Publications
- Bereavement and Mourning (Germany), in: 1914-1918-online. International Encyclopedia of the First World War, hg. von Ute Daniel, Peter Gatrell, Oliver Janz, Heather Jones, Jennifer Keene, Alan Kramer, and Bill Nasson, issued by Freie Universität Berlin, Berlin 2014-10-08
Silke Fehlemann
- Exklusives Gedenken. Die Erinnerung an den Ersten Weltkrieg im Deutschen Reich aus einer geschlechtergeschichtlichen Perspektive. Ein Projektbericht, in: Geschichte und Region 23 (2014) 2, S.169-179
Silke Fehlemann
- ‘Building Home’. The War Experience of German Women Writers 1914-18, in: War and Literature 22 (2014), S. 69-95
Silke Fehlemann
- Die „Daheimgebliebenen“: Kriegsvorstellungen und Kriegserfahrungen weiblicher Angehöriger zu Beginn des Ersten Weltkrieges, in: Nordost-Archiv 24 (2015), S. 27-42
Silke Fehlemann
- Abschiede: Mütter, Söhne und der Beginn des Großen Krieges in Deutschland und Großbritannien, in: Nils Löffelbein/Silke Fehlemann/Christoph Cornelißen (Hg.), Europa 1914. Wege ins Unbekannte, Paderborn 2016, S. 239-265 ISBN 978-3-506-78572-5
Silke Fehlemann
- Représentations et expériences de la guerre chez les femmes au début de la Premiere Guerre mondiale, in: Berenice Zunino/Phillipp Siegert (Hg.), Den Krieg neu denken? Penser la guerre autrement? 1914-1918: Kriegserfahrungen und Erinnerungskulturen. 1914-1918: expériences de guerre et cultures mémorielles, Münster 2016, S. 35-54
Silke Fehlemann