Ursachen und Wandel familialer Armut in Deutschland, 1962 bis 2008. Eine theoretische und empirische Analyse
Final Report Abstract
Das Projekt hat zum Ziel, (1) den Verlauf der familialen Armut seit den 1970er Jahren detailliert zu prüfen und anschließend (2) die soziologisch relevantere Frage nach den Determinanten dieser Veränderung zu untersuchen. Die deskriptiven Befunde dieser Arbeit haben erstmals systematische Analysen zur zeitlichen Veränderung des Armutsrisikos verschiedener Haushaltstypen mit und ohne Kinder über einen Zeitraum von knapp fünfzig Jahren vorgelegt. Hierfür erwiesen sich die in diesem Zusammenhang erstmals verwendeten Mikrozensusdaten als überaus fruchtbar. Der zentrale Befund ist, dass familiale Armut seit den 1970er Jahren deutlich zugenommen hat, seit den beginnenden 2000er Jahren aber wieder leicht rückläufig ist. Hinter dem Anstieg verbirgt sich vor allem ein Anstieg der Armut der seither stark zugenommenen Alleinerziehendenhaushalte. Auch der Rückgang familialer Armut in jüngerer Zeit ist in erster Linie Ausdruck des rückläufigen Armutsrisikos von Alleinerziehenden. Die multivariaten Ergebnisse der Arbeit haben ferner neue Erkenntnisse zu den Ursachen dieser zeitlichen Veränderung des Armutsverlaufs und des höheren Armutsrisikos von Familien liefern können. Eine erste Analyse hat gezeigt, dass das persistent höhere Armutsrisiko von Familien im Vergleich zu Kinderlosen nicht nur am Vorhandensein von Kindern als solches liegt, sondern vor allem auf die sich seit diesem Zeitpunkt polarisierende Komposition familialer und kinderloser Haushalte hinsichtlich armutsauslösender Merkmale zurückgeht. Die ungleichen Armutswahrscheinlichkeiten von Familien und Kinderlosen konnten dabei vor allem anhand haushaltsstruktureller Unterschiede in Erwerbsintensität, Alter und Staatsangehörigkeit erklärt werden. Da Familien seit den 1970er Jahren häufiger eine niedrige Erwerbsintensität aufweisen, jünger sind und häufiger eine ausländische Staatsangehörigkeit besitzen, haben sie ein höheres Armutsrisiko als Kinderlose. Bildungsunterschiede tragen hingegen nicht zum höheren familialen Armutsrisiko bei. Der Anstieg der Armut von Haushalten mit Kindern resultiert zu einem Großteil aus dem Migrationsprozess seit den 1970er Jahren, der fast ausschließlich im Familiensektor stattgefunden hat. Außerdem zeigt sich, dass ein Einkommensstruktureffekt zu dem Anstieg der Armut von Alleinerziehenden beigetragen hat: Mit dem ansteigenden Anteil an kinderlosen Doppelverdienerhaushalten hat sich die relative Armut von solchen Haushalten erhöht, in denen keine zwei Einkommensbezieher leben. Darüber hinaus belegen unsere Analysen, dass die Entwicklung familialer Armut auch durch sich verändernde strukturelle Rahmenbedingungen wie familienpolitisch motivierte Reformen bedingt worden ist. Hierbei wird deutlich herausgestellt, dass der Rückgang der Armut seit den beginnenden 2000er Jahren auf die Kindergelderhöhung des Jahres 1997 zurückgeht, die einen starken armutsreduzierenden Effekt auf Einelternhaushalte hatte. Auch der Ausbau der Kinderbetreuungsinfrastruktur für unter 3-jährige Kinder seit Mitte der 2000er Jahre hat sich armutsreduzierend auf die Armut von Alleinerziehenden ausgewirkt. In vorliegendem Projekt wurden derartige Kontexteffekte erstmals im Hinblick auf die zeitliche Entwicklung familialer Armut untersucht.
Publications
- (2012): Understanding time as socio-historical context: Analyzing social change within the framework of multilevel analysis. GK SOCLIFE Working Paper Series 14/2012. Köln: Research Training Group, Universität Köln
Boehle, Mara und Christof Wolf
- (2013): Die Entwicklung familialer Armut im Kontext sozialstrukturellen Wandels, 1962 bis 2009. ZeS-Report Vol. 18, No. 2. Bremen: Zentrum für Sozialpolitik, Universität Bremen
Boehle, Mara und Wolfgang Voges
- (2015): Armutsmessung mit dem Mikrozensus: Methodische Aspekte und Umsetzung für Querschnitts- und Trendanalysen. GESIS Papers 2015/16. Köln: GESIS - Leibniz- Institut für Sozialwissenschaften
Boehle, Mara