Grundlagen und Anwendung von Chiralitätseffekten in lyotropen Flüssigkristallen
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Lyotrope Flüssigkristalle sind langreichweitig geordnete, anisotrope Fluide aus Aggregaten amphiphiler Moleküle (Mizellen, Lamellen) in einem an sich isotropen Lösungsmittel, zumeist Wasser. Nicht nur als Modellsysteme für die Selbstorganisation in weicher kondensierter Materie, sondern auch im Hinblick auf ihre biologische Funktion z.B. in Zellmembranen ist das Verständnis lyotroper Flüssigkristalle von größter Bedeutung. Ziel dieses Vorhabens war es, den Einfluss von Chiralität auf die supramolekulare Organisation und die makroskopischen Eigenschaften lyotroper Flüssigkristalle zu untersuchen und auf Basis intermizellarer bzw. interlamellarer Wechselwirkungen zu verstehen. Ein erster Arbeitsschwerpunkt widmete sich der Struktur und Dynamik des Lösungsmittels in lyotrop-nematischen Phasen. Ausgangspunkt war die Frage, ob Mizellen – ähnlich wie Proteine oder Phospholipidmembranen – von einer sog. dynamischen Hydrathülle umgeben sind und durch diese über Distanzen von einigen Nanometer hinweg miteinander wechselwirken. Hierzu wurden folgende Ergebnisse erzielt: • Die Bildung und Größe dynamischer Hydrathüllen lässt sich in vergleichsweise einfacher Weise durch konzentrationsabhägige FIR-Spektroskopie mittels Einfachreflex- ATR Technik untersuchen. Im Vergleich zu deutlich aufwändigeren Transmissionsmessungen, die starke FIR- bzw. THz-Quellen erfordern, erhält man vergleichbare Ergebnisse. Allerdings steht noch ein geeignetes Verfahren zur Brechungsindex-Korrektur aus. • Exemplarische Messungen am lyotropen System CEDAB/Wasser zeigen, dass die Bildung der nematischen Phase mit der Überlappung der dynamischen Hydrathüllen einhergeht. Diese Beobachtung legt nahe, dass die Orientierungsordnung der Mizellen auch durch Wechselwirkungen zwischen den Hydrathüllen erfolgen könnte. Ein zweiter Arbeitsschwerpunkt widmete sich chiralen lamellaren Phasen. Ausgangspunkt war hier die Frage, ob es ein lyotropes Analogon zur thermotropen chiralen smektischen C-Phase (SmC*) gibt und ob diese Phase die gleichen spektakulären Chiralitätseffekte wie die thermotrope SmC* Phase, nämlich Helizität und Ferroelektrizität, zeigt. Nach einigen Fehlschlägen gelang uns 2012 erstmals die Entdeckung einer lyotropen SmC*-analogen Phase, deren Existenz mittels 2D-Röntgenbeugung an Monodomänen zweifelsfrei nachgewiesen wurde. Die Phase ist sogar bis zu einem Wassergehalt von über 60% stabil. Die neu gefundene Phase zeigt in der Tat alle makroskopischen Chiralitätseffekte der thermotropen SmC* Phase. Die lyotrope Phase weist helikale Ganghöhen im Bereich einiger Mikrometer auf. Die Neigungsrichtung ihres Direktors (und damit auch die Richtung ihrer spontanen elektrischen Polarisation) kann im elektrischen Feld umorientiert werden, was wie bei den ferroelektrischen SmC* Flüssigkristallen zu einem polaren elektro-optischen Effekt führt. Die nunmehr nachgewiesene Existenz einer lyotropen SmC*-analogen Phase wirft die grundsätzliche Frage auf, wie die Neigungsrichtungen der Amphiphile zwischen benachbarten Doppelschichten über die interlamellare Lösungsmittelschicht hinweg korreliert werden. Dotierungs- und Lösungsmitteleffekte lieferten konkrete Hinweise, dass auch hier ausgedehnte H-Brückennetzwerke innerhalb der Lösungsmittelschichten eine wichtige Rolle spielen. Neben dem Nachweis der seit vielen Jahren gesuchten lyotropen SmC*-analogen Phase ist die besondere Rolle von H-Brückennetzwerken für die Strukturbildung in lyotropen Flüssigkristallen ein zentrales Ergebnis dieses Vorhabens.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
-
A Lyotropic Chiral Smectic C Liquid Crystal with Polar Electrooptic Switching. Angew. Chem. Int. Ed. 52, 8934–8937 (2013)
J. R. Bruckner, J. H. Porada, C. F. Dietrich, I. Dierking, F. Giesselmann
-
Origin of the Director Tilt in the Lyotropic Smectic C* Analog Phase: Hydration Interactions and Solvent Variations. ChemPhysChem 17, 86–92 (2016)
J. R. Bruckner, F. Knecht, F. Giesselmann