Sucht als Volitionsstörung: Beeinträchtigungen kognitiver Kontrollfunktionen bei Substanzstörungen am Beispiel der Nikotinabhängigkeit
Final Report Abstract
Was sind mögliche Mechanismen, die dazu führen, dass Personen die Kontrolle beim Konsum psychotroper Substanzen verlieren und eine Substanzabhängigkeit entwickeln? Dieses Projekt beschäftigt sich mit der Rolle von kognitiven Kontrollfunktionen bei Substanzstörungen am Beispiel der Nikotinabhängigkeit (ND) im Vergleich zu Pathologischem Glücksspielen (PG) als Abhängigkeit ohne Substanzeinnahme und im Vergleich zu gesunden Kontrollpersonen. Dabei war das Ziel 1) spezifische Muster beeinträchtigter kognitiver Kontrolle bei ND aufzudecken sowie mit der Schwere der Abhängigkeit und der Aufhörmotivation in Beziehung zu setzen, 2) ND mit PG hinsichtlich der kognitiven Kontrollfunktionen zu vergleichen und 3) zu prüfen, ob die Beeinträchtigung kognitiver Kontrolle bei ND generell besteht oder spezifisch bzw. verstärkt bei nikotinassoziierten Reizen oder nach Reaktionskonflikten. Zur Erfassung kognitiver Kontrolle wurde eine Batterie von Verhaltensparadigmen verwendet, mit denen ein Spektrum zentraler kognitiver Kontrollfunktionen (Reaktionsinhibition, Zielabschirmung, Antizipation langfristiger Konsequenzen und Konfliktüberwachung) untersucht wurde (Ziel 1 und 2). Diese vier Facetten kognitiver Kontrolle wurden in einem zusätzlichen Experiment im Kontext von neutralen im Vergleich zu nikotinassoziierten Reizen untersucht (Ziel 3). Unsere Ergebnisse zeigten (1) dass bei Nikotinabhängigkeit kognitive Kontrollprozesse nicht generell beeinträchtigt sind, sondern dass spezifisch ein Reaktionsinhibitionsdefizit vorzuliegen scheint. Der Schweregrad der Abhängigkeit und die Aufhörmotivation korrelierten dabei nicht mit der Performanz in den kognitiven Kontrollaufgaben. Die Studie zeigte weiterhin, dass (2) die verringerte Inhibitionsfähigkeit ein gemeinsames Merkmal von ND und PG darstellt, während ein reduzierter Einfluss der Antizipation langfristiger Konsequenzen auf das Entscheidungsverhalten spezifisch für PG ist. Interessanterweise zeigte sich, dass (3) die Reaktionsinhibition bei ND generell beeinträchtigt und nicht etwa spezifisch in einem nikotinassoziierten oder konflikthaltigen Kontext. Zusammen mit dem Befund, dass Konfliktadaptationseffekte in der ND intakt waren, spricht dies dafür, dass eine verringerte Inhibition automatisierter Reaktionstendenzen ein genereller und störungsübergreifender Faktor bei abhängigen Verhaltensweisen wie ND oder PG ist. Dieses Defizit sollte daher noch stärkere Aufmerksamkeit in der Therapie erfahren und durch computergestützte Trainings der Inhibitionsfähigkeit zusätzlich gestärkt werden. Spezifisch für PG ist die veränderte Modulation von Entscheidungen durch kurz- und langfristigen Belohnungen. Diese könnten ebenfalls mit spezifischen Trainings adressiert werden. Als potentielle Ressource für die Therapie von ND und PG könnte man die Facetten Zielabschirmung und Konfliktüberwachung heranziehen, z.B. im Zusammenhang mit der Induktion von Implementierungsintentionen, deren Realisierung durch eine intakte Fähigkeit zur Zielaufrechterhaltung und Konfliktüberwachung zusätzlich gefördert werden sollten.
Publications
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(See online at https://doi.org/10.1080/13803395.2015.1018145)