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Der Einzelne und die Öffentlichkeit. Die Wahrnehmung öffentlicher Meinung durch Popularitätshinweise und ihre Folgen für die Artikulationsbereitschaft

Fachliche Zuordnung Publizistik und Kommunikationswissenschaft
Förderung Förderung von 2011 bis 2019
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 155794648
 
Erstellungsjahr 2018

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Das Projekt nimmt die Folgen des Medienwandels für den Wandel der politischen Kommunikation in den Blick. Es prüft die Einflussprozesse, die in der Theorie der Schweigespirale (Noelle-Neumann, 1974, 1993) und daran anknüpfenden Ansätzen formuliert wurden, unter den Bedingungen von Online-Kommunikation. Zwei Bedingungen sind dabei wesentlich: Erstens eine verstärkte Nutzung nicht-journalistischer Online-Medien (etwa Social Network Sites und Blogs) und zweitens die Möglichkeit, die Reaktionen der vorangegangenen Nutzer in Form von Likes und Nutzerkommentaren zu beobachten. Hieraus wird häufig auf die öffentliche Meinung geschlossen. Diese Phänomene können unsere Wahrnehmung öffentlicher Meinung verändern und darüber vermittelt auch die eigene Meinung und die Bereitschaft, die eigene Meinung öffentlich zu äußern, beeinflussen. Mit diesen Annahmen knüpft das Projekt an die Theorie der Schweigespirale an, die für entsprechende Einflussprozesse unter Bedingungen massenmedialer Kommunikation formuliert worden war. Das Projekt untersucht, inwiefern die in der Theorie der Schweigespirale formulierten Zusammenhänge auch in der Online-Welt Bestand haben. Dazu wurde ein Mehrmethodendesign entwickelt, das Personen-, Inhalts- und Nutzungsdaten für mehrere Themenkontexte auf Individualdatenniveau miteinander in Beziehung setzt und international vergleichend Deutschland und Korea untersucht. Zusammenfassend lassen sich aus den Experimental- und Befragungs-Studien vier wesentliche Erkenntnisse ableiten: (1) Die Prämissen der medienvermittelten Umweltwahrnehmung haben sich verschoben: Die Medienangebote, aus denen wir unser Bild von der öffentlichen Meinung ableiten, sind vielfältiger geworden, aber mit inhaltlichem Vielfaltgewinn im Angebot geht auch eine verminderte Vielfalt in den individuell genutzten Medienangeboten einher. Grund dafür ist die selektive Zuwendung zu Angeboten, die mit unserer Meinung übereinstimmen. Dieser Rückzug in homogene Teilöffentlichkeiten kann unsere Wahrnehmung der öffentlichen Meinung stark beeinflussen, weil wir das Gefühl für die gesellschaftlichen Meinungen jenseits dieser homogenen Teilöffentlichkeiten verlieren könnten. (2) Wie die empirischen Befunde zeigen, ist das Bild der öffentlichen Meinung davon abhängig, ob überwiegend massenmediale oder nicht-journalistischen Online-Medien genutzt werden. Zwar war die eigene Meinung die wesentlich prägendere Kraft auf die wahrgenommene öffentliche Meinung (Projektion), doch weisen Themenunterschiede darauf hin, dass mit zunehmendem Kontroversitätsgrad der betrachteten Themen der Einfluss von Medieninhalten und Nutzerreaktionen auf die Wahrnehmung öffentlicher Meinung zunimmt. (3) Die Befunde zeigen ferner, dass unter bestimmten Bedingungen und vermittelt über die Wahrnehmung öffentlicher Meinung auch die eigene Meinung von Medieninhalten beeinflusst werden kann. Die Bereitschaft, die eigene Meinung öffentlich zu vertreten, scheint davon vergleichsweise wenig berührt zu sein. (4) In der Online-Welt werden die vielfältigen Möglichkeiten der niederschwelligen und sanktionslosen öffentlichen Meinungsäußerung, etwa durch Likes oder anonyme Kommentare, rege genutzt. Entsprechend spielt die Angst, sich durch eine Minderheitenmeinung sozial zu isolieren, kaum noch eine Rolle, sodass die wahrgenommene öffentliche Meinung die Bereitschaft, die eigene Meinung öffentlich zu artikulieren, kaum beeinflusst. Im internationalen Vergleich zeigt sich allerdings unter bestimmten Bedingungen im kollektivistisch geprägten Korea noch eher die Tendenz, vermeintliche Minderheitenmeinungen nicht öffentlich zu artikulieren. Für den öffentlichen Diskurs sind die im Projekt gewonnenen Erkenntnisse insgesamt gute Nachrichten. Der Medienwandel kann dazu beitragen, dass auch Minderheitsmeinungen öffentlich artikuliert werden und damit eine Meinungsbildung ermöglichen, die die ganze Vielfalt von Positionen berücksichtigt. Allerdings geben die festgestellten Wirkungen von Nutzerreaktionen auf die Wahrnehmung öffentlicher Meinung und darüber vermittelt auf die eigene Meinung auch Anlass zur Sorge. Der Blick auf die leicht durch fake accounts und social bots zu manipulierenden Nutzerreaktionen macht deutlich, wie leicht ein verzerrtes Bild öffentlicher Meinung entstehen kann. Die politischen Folgen dieser Wahrnehmung sind vielfältig.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

 
 

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