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Im Windschatten Petrarcas. Fixierung und Sprengung von Autorität in der italienischen Lyrik der Frühen Neuzeit

Fachliche Zuordnung Europäische und Amerikanische Literatur- und Kulturwissenschaften
Förderung Förderung von 2010 bis 2013
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 185919614
 
Erstellungsjahr 2014

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Das Projekt widmete sich bezüglich der italienischen Lyrik des 16. Jh.s der Frage, wie sich im Zuge der Kontestation von Petrarcas Autorität durch die aufkommende Systempoetik, im Zusammenhang mit einer allmählichen Erosion der herkömmlichen Stillagenpoetik und vor dem Hintergrund einer von der petrarkistisch-bembistischen Norm nur teilweise stillgestellten Diversifizierung der lyrischen Praxis das Verhältnis zwischen Lyrikproduktion und Poetologie im Cinquecento gestaltet und auf welchen Wegen die Ausfächerung des lyrischen Spektrums hin zum Barock verläuft. Dabei konnte die anfängliche Grundsatzhypothese bestätigt werden, dass die Diversifizierung der gattungspraktischen Möglichkeiten und des gattungstheoretischen Spektrums hin zum Seicento als eine Rückkehr dessen beschrieben werden könnte, was in Italien bereits im 15. und beginnenden 16. Jh. stark präsent ist (nämlich eine breite Variabilität des lyrischen Spektrums in Praxis und Theorie), gegen die Mitte des Cinquecento durch die vom Bembismus betriebene petrarkische Autoritätsfixierung unterdrückt wird und schließlich gegen Ende des 16. Jh.s u.a. gerade durch die Ordnungsversuche einer systematischen Gattungspoetik mit einem Mal wieder theoretische (und dadurch auch wieder weitere praktische) Spielräume erhält. In der Dichtungstheorie des Cinquecento entsprechen der literarisch-praktischen Auffächerung des Gattungsspektrums von ‚Lyrik‘ mehrfach die Denkfiguren von poetologischen Ansätzen, die Gattungsvielfalt einerseits theoretisch durch eine einhegende Systematisierung zu kontrollieren (Minturno), andererseits auf der Basis dialektischer Aufgliederungen durch umfassende historischdeskriptive Darstellung zu bewältigen (Scaliger) und schließlich durch ‚protobarocke‘ Verfahren einer mathematischen Kombinatorik und typologischen Skalierung erfassbar werden zu lassen und weiterhin dehnbar zu machen (Patrizi). Im Bereich der akademischen Lyrikanthologien wie insgesamt der lyrischen Produktion von Akademikern des 16. Jh.s konnte zweierlei aufgezeigt werden: Zum einen ist hier die formale Persistenz von bembistisch-petrarkistisch normierten Gedichtformen (v.a. des Sonetts und dann des Madrigals) deutlich stärker als im außerakademischen Kontext. Ganz offenbar konnten sich die Akademien in dieser Hinsicht dem bembistischen Diktat nur teilweise entziehen. Zum anderen jedoch versuchen die Akademiker ihrem bembismusfernen Selbstverständnis als Vermittler von Wissen in der Form der Lyrik dadurch gerecht zu werden, dass sie ‚doktrinäre‘ Elemente über den Weg intertextueller Rekurse auf Dante (vor allem die Commedia) in die Lyrik einspeisen. Der akademisch relevante Gestus des Belehrens und Belehrtwerdens wird in der Lyrik u.a. durch eine kommunikationspragmatische imitatio des Verhältnisses von Vergil (Lehrer) und Dante (Belehrter) aus der Commedia abgebildet. Die Akademien können sich bei ihrer a(nti)-bembistischen Neuinstallierung Dantes als Autoritätsinstanz auf Bembos eigene Dante-Rekurse berufen, die er bei der Ausarbeitung der Prose della volgar lingua nur zum Teil kaschieren kann. Die Forschung zur rinascimentalen Poetologie (bes. zu Minturno, Scaliger und Patrizi, aber auch zur Lyriktheorie insgesamt) ist durch die Projektarbeit wesentlich bereichert und z.T. überhaupt erstmals umfassend angegangen worden. Die Thematik der rinascimentalen Lyrik von Akademikern sowie, hinsichtlich der rinascimentalen Literaturtheorie, das Problem des Erhabenen im Cinquecento (Longin-Rezeption) ist von unserem Projekt in Pionierarbeit erstmals integrativ behandelt worden.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

  • „La teoria del furor poeticus come arma dottrinaria: Ficino, Landino e il Cinquecento“, La poètica renaixentista a Europa. Una recreació del llegat clàssic, hg. von J. Solervicens / A.L. Moll (Barcelona 2011) 19-44
    B. Huss
  • „Petrarkismus und Mythomotorik“, in: B. Huss (Hg. zus. mit M. Bernsen): Der Petrarkismus – ein europäischer Gründungsmythos (Göttingen 2011) [Gründungsmythen Europas in Literatur, Musik und Kunst 4] S. 101-128
    C. Hennig
  • „Petrarkismus und Tragödie“, in: B. Huss (Hg. zus. mit M. Bernsen): Der Petrarkismus – ein europäischer Gründungsmythos (Göttingen 2011) [Gründungsmythen Europas in Literatur, Musik und Kunst 4] S. 225-257
    B. Huss
  • Lyriktheorie(n) der italienischen Renaissance (Berlin/Boston 2012) [Pluralisierung und Autorität 30]
    B. Huss / F. Mehltretter / G. Regn
  • „Anmerkungen zur Rezeption von Longins ‚Erhabenem‘ im Cinquecento“, Romanistisches Jahrbuch 62 (2011 [2012]) 165-187
    B. Huss
  • „Guido Casonis Passione di Christo – manieristische Exaltiertheit im religiösen Figurengedicht?“, Manierismus. Interdisziplinäre Studien zu einem ästhetischen Stiltyp zwischen formalem Experiment und historischer Signifikanz, hg. von B. Huss / Ch. Wehr (Heidelberg, 2014) [GRM-Beihefte] 131-159
    C. Hennig
  • „Die Impresa als Ausdruck literarischer Programmatik in den italienischen Akademien des 16. Jahrhunderts“, in: Germanisch-Romanische Monatsschrift, 2016, 66. Jg., Nr. 2, S. 141-162
    S. Oberto
 
 

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