Halle und Herrschaft. Zur symbolischen Bedeutung der Halle im frühgeschichtlichen Nordeuropa
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Im Rahmen der durch die DFG geförderten diachronen Studie „Halle und Herrschaft“ wurde zum ersten Mal und auf betont interdisziplinäre Weise die ca. 1000 Jahre währende Geschichte der nordischen Halle und ihr Weiterleben in den mittelalterlichen Texten betrachtet. Im Mittelpunkt des Projekts steht ein herausragendes Gebäude, das bereits im Mittelalter schriftlich rezipiert wurde. In der älteren und jüngeren Eisenzeit in Skandinavien bestand ein Hof in der Regel aus einem multifunktionalen Langhaus mit Wohn‐ und Stallteil, sowie kleineren, wirtschaftlich genutzten Nebengebäuden. Ein anderer Gebäudetypus ist die so genannte Halle, die man ab dem 3. nachchristlichen Jahrhundert bis zum Ende der Wikingerzeit in Skandinavien finden kann und die aufgrund ihrer außergewöhnlichen Größe und des fehlenden Stallteils als Herrschersitz bzw. Repräsentations‐ und Versammlungsraum interpretiert wird. In den Texten des skandinavischen Mittelalters, die vornehmlich auf Island ab dem 12. Jahrhundert schriftlich fixiert wurden, bezeichnete man Gebäude, in denen sich der Herrscher mit seinem Gefolge traf, als „hǫll“ = Halle. Seit dem 19. Jahrhundert übertrug man diesen Begriff auch auf entsprechende archäologische Befunde. Aber ist es überhaupt angebracht, die Hallen der altnordischen Literatur mit den bis zu 1000 Jahre älteren Gebäudefunden, die bisher nicht einmal genauer definiert werden konnten, zu vergleichen? Diese Frage führte zur Beantragung des hier vorgestellten, 2011 am ZBSA Schleswig aufgenommenen Forschungsprojekts. Im Rahmen des Projekts erfolgte eine zweiteilige Materialaufnahme der archäologischen und literarischen Quellen, gefolgt von einer dreiteiligen Analyse der archäologischen, sprachwissenschaftlichen und literarischen Belege. Eine abschließende Synthese führte die beiden Quellgattungen und die drei Analysewege zusammen. Die archäologische Untersuchung konnte insgesamt 75 als Hallen bezeichnete Gebäude auswerten und Gemeinsamkeiten sowie deren chronologische und geographische Verteilung herausstellen. Es wurde außerdem konstatiert, dass das betont auffällig gestaltete Gebäude in erster Linie einen Repräsentationsaspekt bedient. Die sprachliche Untersuchung konnte den Begriff „Halle“ in einen historischen Kontext stellen und gegenüber anderen altnordischen Gebäudebezeichnungen abgrenzen. Es wurde deutlich, dass der Begriff ausschließlich im Kontext herrschaftlicher Gebäude genutzt wurde. Die Literaturanalyse stellte die unterschiedlichen Hallenszenen zusammen und konnte narrative Beschreibungen, literarische Topoi und besondere Hallenszenen voneinander abgrenzen. Die Halle war der am häufigsten geschilderte Aufenthaltsort von König und Gefolge. Sowohl in den Texten als auch im archäologischen Befund konnte gezeigt werden, dass die Halle in der größtenteils schriftlosen Kultur des 1. Jahrtausends eine Zeichenfunktion besaß und dabei sinnbildlich für den Herrscher selbst stand; ein Konzept, das so von der Eisenzeit bis in das Mittelalter tradiert werden konnte. Der besondere Wert des Projekts liegt in der interdisziplinären Analyse, durch die erstmals gezeigt werden konnte, dass dem Gegenstand neben einer praktischen Funktion, die literarisch aufgenommen wurde, auch eine symbolische Funktion zukam, die von den eisenzeitlichen Gebäuden bis zu den mittelalterlichen Schriftquellen tradiert wurde. Neben Namen und Ereignissen wurden mit Hilfe der Literatur also auch Konzepte konserviert, was zu weiteren ähnlichen Studien anregt und den Quellenwert derartiger Texte für die Frühgeschichtsforschung nachhaltig stärkt.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
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21. 10. 2011 The smith in Scandinavian written sources. Workshop Workshop – The elusive Gold Smithies of the North, Schleswig
Lydia Carstens
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29. 09. 2011 Die Halle des Herrschers. Arbeitstagung der deutschsprachigen Skandinavistik (ATdS), Wien/Österreich
Lydia Carstens
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A ‘home of the gods’ is more than a house – Gudhem in Sweden. In: O. Grimm, A. Pesch (Hrsg.), The Gudme/Gudhem Phenomenon (Schriften des Archäologischen Landesmuseums, Ergänzungsreihe Band 6). Neumünster 2011, S. 147 ‐ 160
Lydia Carstens
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Goðheimr in Old Norse Literature. In: O. Grimm, A. Pesch (Hrsg.), The Gudme/Gudhem Phenomenon (Schriften des Archäologischen Landesmuseums, Ergänzungsreihe Band 6). Neumünster 2011, S. 39 – 46
Lydia Carstens
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Verbrannt und begraben ‐ Neue Forschungen zu eisenzeitlichen Hallen in Nordeuropa. In: Archäologische Nachrichten aus Schleswig‐Holstein, Heft 17 / 2011, S. 10 ‐ 14
Lydia Carstens
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09. 08. 2012 Posts of power: The sagas’ use of the past exemplified by an Iron Age building. The 15th International Saga Conference “Sagas and the Use of the Past”, Aarhus/Dänemark
Lydia Carstens
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03. 09. 2013 Hallenbauten der Wikingerzeit in Skandinavien in schriftlichen und archäologischen Quellen. Tagung des Nordwestdeutschen Verbandes für Altertumsforschung e. V., Lübeck
Lydia Carstens
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10. 08. 2013 Posts of Power: The hall of the Viking king. 17th Viking Congress, Lerwick/Shetland
Lydia Carstens
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11. 06. 2013 Symbols of power: The Iron Age hall from a philological point of view. Referensgruppsmöte Runsa Borg, Upplands‐Väsby/Schweden
Lydia Carstens
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12. 03. 2013 Symbols of power: The king's hall and the medieval perception of the Viking Age. Viking Worlds Conference, Oslo/Norwegen
Lydia Carstens