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Untersuchung zur Synthese und biologischen Wirkungen von Piperidinalkaloiden aus den Wehrdrüsen von Stenus Käfern

Fachliche Zuordnung Biologische und Biomimetische Chemie
Förderung Förderung von 2010 bis 2014
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 174351887
 
Erstellungsjahr 2014

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Vertreter der Kurzflügelkäfer-Gattungen Stenus und Dianous weisen wie die meisten Staphylinidae einen schlanken Körperbau mit reduzierten Elytren auf. Dies führt zu einer erhöhten Beweglichkeit des Abdomens, wodurch Lückensysteme als Habitate erschlossen werden können. Da die reduzierten Elytren das Abdomen jedoch nur unzureichend schützen können, neigen die Käfer zu einer deutlich größeren Anfälligkeit gegen Prädation und Parasitierung. Um diesen Nachteil zu kompensieren, produzieren und speichern die Steninae in abdominalen Wehrdrüsen hochgradig aktive chemische Abwehrverbindungen, die sie auf vielfältige Art und Weise einsetzen. Um neue Einblicke in die komplexe chemische Ökologie der Steninae zu ermöglichen, wurden die Wehrdrüsenalkaloide Stenusin, Norstenusin und Cicindeloin synthetisiert. Die Biosynthese der stickstoffhaltigen Sekretkomponenten, die biologische Aktivität der Abwehrkomponenten und –sekrete und die Morphologie, Ultrastruktur und Funktion der Pygidialdrüsen wurden untersucht. Durch Analyse der Biosynthese der stickstoffhaltigen Sekretkomponenten und deren Verteilung über verschiedene Arten wurden ferner Aussagen über potentielle evolutive Trends und phylogenetische Zusammenhänge innerhalb der Steninae möglich. Das Spreitungsschwimmen einiger Steninae wurde ebenfalls untersucht. Die Stenusin enthaltenden Steninae zeigen eine charakteristische Zusammensetzung aller vier Stenusin-Stereoisomeren. Alle bislang bekannten stereoselektiven Zugänge zu Stenusin und auch die auf der SAMP/RAMP-Methode basierende Varinate nach ENDERS et al. erlauben nur die Darstellung der in der Seitenkette (S)-konfigurierten Stenusine. Daher wurde eine neue Synthese entwickelt, die es erlaubt, alle Isomere selektiv darzustellen. Das Stereozentrum im Piperidinring wird durch auxiliarvermittelte asymmetrische Hydrierung erzeugt, während die Seitenkette entweder aus dem chiralen Pool ((S)-2-Methylbutanol) entnommen wird oder mittels einer chemoenzymatischen Synthese erzeugt wird. Das neue Alkaloid Cicindeloin wurde aus Stenus-Käfern der Art S. cicindeloides isoliert. Die Absolutkonfiguration von Cicindeloin konnte durch Totalsynthese und GC-Vergleich mit dem Naturstoff an einer chiralen Phase bestimmt werden. Für das Wehrdrüsenalkaloid Cicindeloin wurde ein totalsynthetischer Zugang mit 20% Gesamtausbeute entwickelt, der eine lineare Sequenz von 12 Stufen umfasst, von denen neun ohne Chromatographie auskommen. Die in den großen Reservoiren der Stenus-Käfer gespeicherten Alkaloide weisen alle ein identisches Grundgerüst mit N-heterocyclischem Sechsring und verzweigter Alkyl-Seitenkette auf. Über Verfütterung deuterierter Aminosäuren konnte die biogenetische Verwandtschaft der drei Alkaloid-Hauptkomponenten Stenusin, 3-(2- Methyl-1-butenyl)-pyridin und Cicindeloin nachgewiesen werden. In allen drei Fällen wird der N-Heterocyclus aus der Aminosäure L-Lysin und die Seitenkette aus L-Isoleucin gebildet. Die Biosynthese der Alkaloide erfolgt hierbei zunächst identisch, bis hin zu zwei Vorläuferverbindungen, die letztendlich durch wenige chemische Modifikationen in die Sekret-Alkaloide überführt werden können. Die Sekrete in den großen Reservoiren bestehen aus den Alkaloiden Stenusin, 3-(2-Methyl-1-butenyl)-pyridin und Cicindeloin sowie zum Teil aus deren Dehydro- oder Nor-Verbindungen, wobei sowohl die qualitative, als auch die quantitative Zusammensetzung je nach Art unterschiedlich ausfallen kann. Die kleinen Reservoire enthalten Monoterpene wie unter anderem 1,8-Cineol, α-Pinen und 6-Methyl-5-hepten-2-on. In Biotests zeigten alle Sekretkomponenten eine signifikante Aktivität als Feeding Deterrent gegen die Ameise Lasius flavus und den Fisch Xiphophorus helleri (im Bericht nicht erwähnt). Weiterhin war bei den meisten Verbindungen eine deutliche wachstumshemmende Wirkung gegen Bakterien und Pilze feststellbar. Sowohl bezüglich der fraßhemmenden, als auch der antimikrobiellen Wirkung zeigten sich hierbei die Alkaloid-Komponenten den Terpenen meist überlegen. In Tests mit zwei reinen Diastereomeren des in vier Stereoisomeren vorkommenden Stenusins zeigte sich über die biologische Aktivität eines Isomerengemisches hinaus, dass Ameisen zwischen verschiedenen Stereoisomeren diskriminieren (im Bericht nicht erwähnt), während bei Bakterien stets die gleiche Hemmwirkung zu beobachten ist. Die paarig angelegten Pygidialwehrdrüsen der Steninae erstrecken sich lateral des Darmes und dorsal der Geschlechtsorgane über die letzten drei bis vier Abdominalsegmente. Sie bestehen aus zwei großen Reservoiren mit bandförmig aufgelagertem sekretorischen Gewebe sowie zwei weiteren kleinen Reservoiren mit zugehörigem Drüsengewebe an der Basis der großen Reservoire. In beiden sekretorisch aktiven Geweben erfolgt die Sekreteproduktion in Drüsenzellen, die einen länglichen inneren Extrazellulärraum aufweisen. Die synthetisierten Produkte werden über zahlreiche Mikrovilli der Drüsenzellenmembran in den Extrazellulärraum abgegeben, wo sie von einem cuticulären Tubulus aufgenommen und zum entsprechenden Reservoir abgeleitet werden. Außerhalb der Drüsenzelle ist der sekretableitende Tubulus von einer Kanalzelle umgeben, die zusammen mit der Drüsenzelle eine Drüseneinheit bildet. Während die großen Reservoire mit den entsprechenden Drüsengeweben in Struktur und Funktion bei allen Steninen konserviert vorliegen, unterliegen die kleinen Reservoire und sekretorischen Gewebe meist starken Reduktionen, die bis hin zur Funktionslosigkeit einzelner Strukturen führen können. Bezüglich der Morphologie der Pygidialdrüsen sowie der qualitativen und quantitativen Sekretkomposition sind evolutive Trends innerhalb der Steninae zu erkennen. In den phylogenetisch basalen Arten S. comma und S. biguttatus liegt ein stark ausgeprägtes, voll funktionsfähiges kleines Reservoir und Drüsengewebe an der Basis der großen Reservoire vor. Das Drüsensekret enthält Stenusin, Norstenusin und die im kleinen Reservoir gespeicherten Terpene. Mit Fortschreiten der Evolution der Steninae wurde sowohl das kleine Reservoir als auch das entsprechende Drüsengewebe reduziert und der Terpen-Gehalt des Sekrets minimiert. Im weiteren Verlauf wurde das Pygidialdrüsensekret zunächst um 3-(2-Methyl-1-butenyl)-pyridin (z.B. S. similis) und später um Cicindeloin (z.B. S. solutus) erweitert, wobei Stenusin und Norstenusin mehr und mehr ersetzt wurden. Die Spreitungsdrucke der Sekretkomponenten und einiger naturidentischer Käfersekrete wurden mit einem Tensiometer mit hängendem Tropfen gemessen. 3-(2-Methyl-1-butenyl)-pyridin zeigte von den Alkaloiden den höchsten Spreitungsdruck. Die Schwimmgeschwindigkeiten der untersuchten Steninae sind perfekt an die jeweiligen Habitate angepasst. So muss beispielsweise Dianous coerulescens schnell schwimmen, weil er in der Nähe von Wasserfällen, Wehren und schnell fließenden Bergbächen lebt.

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