Detailseite
Projekt Druckansicht

Die lokale Restrukturierung der Altenpflege - Kulturelle Grundlagen, Akteure und Handlungsbedingungen

Fachliche Zuordnung Empirische Sozialforschung
Förderung Förderung von 2005 bis 2011
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 17280677
 
Erstellungsjahr 2013

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Ziel- und Fragestellung: Während klassische Sozialpolitiken seit Jahrzehnten umfassend erforscht und analysiert werden, rücken die Politiken zur Pflege älterer Menschen seit gut einem Jahrzehnt in den wissenschaftlichen Mittelpunkt. Dabei stehen bisher Analysen im Vordergrund, die die Entwicklung solcher Politiken auf der Ebene der nationalen Wohlfahrtsstaaten untersuchen. Die lokale Ebene stellt ebenfalls eine wichtige Ebene für die Umsetzung der zentralstaatlichen Politiken dar und ist deshalb ebenfalls von hoher Relevanz. Im Zentrum des Projekts standen Differenzen in den lokalen Pflegepolitiken. Grundlegend für das Projekt war die Annahme, dass zu den Faktoren, die diese Differenzen herbeiführen, wesentlich auch Differenzen in der lokalen Wohlfahrtskultur stehen. Es wurde gefragt: Wie lassen sich Differenzen in den lokalen Pflegepolitiken erklären? Und welchen Beitrag leisten kulturelle Differenzen für die Erklärung dieser Unterschiede? Dabei ging es vor allem um vier der Pflegepolitik, die Politiken zur Vermarktlichung, Politiken gegenüber der Pflegequalität, die Partizipation zivilgesellschaftlicher Vertreter/innen und die Politiken gegenüber der familialen Pflege. Weiter wurde auch nach der Bedeutung der lokalen Governance-Strukturen für die Umsetzung neuer kultureller Werte und Leitbilder gefragt. Damit setzte das Forschungsprojekt an zwei wesentlichen Forschungslücken an. Die eine bestand darin, dass in der vergleichenden Sozialpolitikforschung die Frage nach den kulturellen Grundlagen wohlfahrtsstaatlicher Politiken weitgehend ausgeblendet wurde. Auch gab es nur wenige Analysen, in denen es darum ging, den Bezug von kulturellen Leitbildern und Politikprozessen im Bereich der vergleichenden Wohlfahrtsstaatsforschung konzeptionell und empirisch zu erfassen. Die zweite Forschungslücke ergab sich dadurch, dass kaum Studien vorlagen, in denen es um eine Erklärung von Differenzen in den lokalen Sozialpolitiken ging. Theoretische Weiterentwicklung: Der theoretische Ansatz des care arrangement wurde für den Vergleich von lokalen Pflegepolitiken weiterentwickelt, ebenso der theoretische Ansatz der Wohlfahrtskultur. Weiter wurden die theoretischen Grundlagen zum Verhältnis von Kultur und Institutionen weiterentwickelt, mit Bezug auf eine neo-institutionalistische Theorie-Perspektive. Zudem wurde auch das Konzept der „Vermarktlichung in Wohlfahrtsstaaten präzisiert, ebenso wie das Konzept der Governance-Strukturen. Die empirische Untersuchung beruhte auf einer vergleichenden Fallstudie für 4 mittelgroße Städte in Deutschland, von denen zwei in Westdeutschland und zwei in Ostdeutschland liegen. Dafür wurden Dokumente und Statistiken analysiert, 9 Experteninterviews in den vier Städten durchgeführt sowie 28 problemzentrierte Interviews mit relevanten Politikakteuren durchgeführt. Ergebnisse: In Bezug auf die Ökonomisierung/Vermarktlichung unterscheiden sich die lokalen Pflegepolitiken zwischen den Ost- und westdeutschen Städten deutlich; sie hat in den ostdeutschen Pflegepolitiken eine wesentlich größere Bedeutung als in den westdeutschen Pflegepolitiken. Dies lässt sich im Wesentlichen mit Differenzen in den kulturellen Werteorientierungen zwischen den relevanten Akteuren in den westdeutschen und ostdeutschen Städten erklären, darüber hinaus auch mit Differenzen in den Governancestrukturen. Andere Faktoren, wie die finanziellen Spielräume der Kommunen, die politische Ausrichtung der regierenden Parteien und der Problemdruck, der aus dem Anteil pflegebedürftiger älterer Menschen in der Stadt resultiert, tragen nicht erkennbar zur Erklärung der Unterschiede bei. Weiter unterscheiden sich die westdeutschen und ostdeutschen Städte auch erheblich im Grad der politischen Partizipation der zivilgesellschaftlichen Akteure, der ebenfalls in Ostdeutschland deutlich höher ist. Dieses Ergebnis widerspricht ebenfalls gängigen Annahmen. Es lässt sich mit Differenzen in der Art der Zivilgesellschaft zwischen West- und Ostdeutschland erklären. Die Aufnahme neuerer Werte und Leitbilder, wie die marktliche Erbringung sozialer Dienstleistungen, die Qualitätsdiskussion, die De-Familialisierung oder die politische Partizipation zivilgesellschaftlicher Organisationen in die lokale Wohlfahrtkultur erfolgte in den beiden westdeutschen Kommunen weitegehend pfadabhängig – insbesondere in Bezug die Ablehnung der marktförmigen Erbringung sozialer Dienstleistungen. Das gilt auch für den Osten. Die ostdeutschen Städte haben nach der Wiedervereinigung bezüglich ihrer Wohlfahrtskultur eine Pfadabkehr und eine kulturelle Neuorientierung erlebt, zumindest in Bezug auf die Werte zur Ökonomisierung und zur politischen Partizipation der Zivilgesellschaft. Seitdem ist die Wohlfahrtskultur offenbar relativ stabil, wie die Untersuchung gezeigt hat. Hinsichtlich der Governance-Strukturen fanden wir eher horizontale Governance-Strukturen in den beiden westdeutschen Städten und eher hierarchische, staatszentrierte Governance-Strukturen in Ostdeutschland. Dies lässt sich ebenfalls mit Differenzen in den Entwicklungspfaden in beiden Großregionen erklären.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

  • (2007) Culture e strutture innovative nei servizi di cura, in Prandini, R. – Martignani, L. (2007) Cultura riflessiva e politiche sociali. Sociologia e Politiche Sociali, 10, 3: 11-30
    Pfau-Effinger, B.
  • (2008): Culture and Welfare State. Values and Social Policy in a Comparative Perspective. Cheltenham/UK; Northampton/ MA, USA: Edward Elgar
    Oorschot, Wim van; Opielka, Michael; Pfau-Effinger, Birgit (eds.)
  • (2009) The “consumer principle” in the care of elderly people - free choice and actual choice in the German welfare state, Social Policy and Administration, 43, 6: 617- 633 (reprint in Greve, Bent (ed.): Choice. London: Palgrave)
    Eichler, Melanie; Pfau-Effinger, Birgit
  • (2009) Welfare cultures from a European perspective, Studi di Sociologia XLVII, 1: 123- 149
    Pfau-Effinger, Birgit
  • (2009) ‚Kulturelle Grundlagen des Wandels von Wohlfahrtsstaaten’, Österreichische Zeitschrift für Soziologie ‘, 34, 3: 3-21
    Pfau-Effinger, Birgit
  • (2011) Care between Work and Welfare in European Societies. (Work and Welfare Book Series), London, Chicago: Palgrave Macmillan
    Pfau-Effinger, Birgit, Rostgaard, Tine (eds.)
  • (2011) ‘Tensions between a consumer approach to social citizenship and social rights of family carers. A comparison between Germany and Denmark, Nordic Journal of Social Research, (special issue), 2/2011
    Pfau-Effinger, Birgit; Jensen, Per H., Och, Ralf
  • ‘Welfare state change, the strengthening of economic principles and new tensions in relation to care’, Nordic Journal of Social Research, (special issue), 2/2011
    Pfau-Effinger, Birgit, Rostgaard, Tine (eds.)
  • (2012) Analyses of welfare-state reform policies towards long-term senior care in a cross-European perspective, European Journal of Ageing, 9, 2: 151-154
    Pfau-Effinger, Birgit
  • (2012): Mitgestaltung in der kommunalen Sozialpolitik – vier Beispiele aus der Seniorenpolitik, WSI-Mitteilungen, Heft 3/2012, S. 226-234
    Och, Ralf
 
 

Zusatzinformationen

Textvergrößerung und Kontrastanpassung