Die diskurse Aushandlung von Transdisziplinarität. Projektkommunikation im Spannungsfeld von transdisziplinärem Anspruch und disziplinären Rahmenbedingungen.
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Interdisziplinäre Projekte stehen bekanntermaßen vor besonderen Herausforderungen: Die beteiligten Disziplinen verfügen über distinkte Denkstile, eigene Fachsprachen und unterschiedliche wissenschaftliche Arbeitsmethoden. Diese Diversität verschafft der jeweiligen Disziplin zwar Identität, doch erweist sich interdisziplinäre Kommunikation dadurch als kompliziertes Vorhaben. In einer Projektarbeit mit interdisziplinärem Anspruch müssen dadurch entstehende Kommunikationsschwierigkeiten bewältigt werden, um trotz disziplinärer Kompetenzverteilung zu einer (zumindest bis zu einem gewissen Grad) "gemeinsamen Sprache" und einem produktiven Zugang zu den Wissensressourcen der jeweiligen Partner zu finden. Das Projekt widmete sich daher der Frage, wie Interdisziplinarität in der konkreten wissenschaftlichen Projektkommunikation konkret "funktioniert". Leitende Fragen dabei waren, wie Interdisziplinarität von den Projektbeteiligten als Anspruch formuliert und im Rahmen der Antragstellung konkret ausgehandelt wird, wie sich dies auf die sprachliche Konstitution und Aushandlung gemeinsamen Wissens und - womöglich - einer gemeinsamen Sprache auswirkt und wie sich insbesondere kooperative Textproduktionsprozesse im Kontext interdisziplinärer Forschung näher beschreiben lassen. Bezugspunkt war ein interdisziplinäres Projekt zwischen Physikern und Politikwissenschaftlern zur Proliferationsresistenz von Fusionsreaktoren, das untersuchte Material war vielfältig und bestand u.a. aus verschiedenen Projektantragsversionen, Mail-Korrespondenz, Interviews mit den Projektbeteiligten und Mitschnitten von Projektsitzungen. Die Projektarbeit konnte zeigen, dass beide beteiligten Disziplinen eine konkrete Vorstellung davon hatten, welche Relevanz Terminologie in ihrem Fach hat und inwieweit sie ein (mehr oder weniger fragiles) Ergebnis diskursiver Aushandlungsprozesse darstellt; das "Recht auf die eigene Terminologie" ist ganz offensichtlich grundlegend für das Selbstverständnis von Disziplinen. Die Analysen zeigen jedoch auch, dass eine "gemeinsame Sprache" in einem solchen Projekt weit mehr sein muss als eine wechselseitige Aufklärung über terminologische Bedeutungen der je fremden Disziplin: Sie bestätigen Befunde der Sozialwissenschaften, dass das Phänomen "gemeinsame Sprache" auf der Ebene ihrer Aushandlung mindestens eine Inhaltsebene (Begriffe und Ziele), eine Verfahrensebene (Schreibprozess, Zeitproblem) und eine Beziehungsebene (Hierarchien) aufweist. Dominierend bleibt dabei durchgängig die Inhaltsebene: Die disziplinären Rollen der Projektbeteiligten können anders als hierarchische oder schreibprozessbedingt sich ergebende nicht ohne weiteres überwunden oder neu ausgehandelt werden, nicht zuletzt deswegen, weil sie im Rahmen von Begutachtung und Qualifikation zumindest im universitären Bereich von zentraler Relevanz sind. Formulierungsbarrieren im kooperativen Schreiben zeigen, dass die Inhaltsebene zudem mehrere Dimensionen aufweist: eine begrifflich-semantische und damit eine theoretische Dimension, eine methodische Dimension, eine antragsstrategische Dimension der Zielbestimmung sowie eine pragmatische Dimension der fachlichen Zuständigkeit und disziplinärer Standards. Ein wichtiges Teilergebnis dabei ist, dass Probleme auf der inhaltlichen Ebene keinesfalls nur dadurch gelöst werden, dass Schlüsselbegriffe möglichst frühzeitig miteinander auf all diesen Ebenen diskutiert werden, sondern auch darin, dass sie bewusst offen gelassen und gemeinsame Konzepte erst als Folge der gemeinsamen Arbeit entwickelt und festgelegt werden. Die beobachteten Aushandlungsprozesse setzen sehr deutlich bereits bei der Projektdefinition und der Antragstellung an, nicht erst mit Beginn der faktischen Projektkooperation. Dabei dominiert - bei aller interdisziplinären Offenheit - die fachliche Identität vor allen anderen möglichen Interaktionsrollen. Sie prägt das Diskursverhalten im Projekt - nicht zuletzt aufgrund der immer noch stark disziplinären Rahmenbedingungen von Forschung in Deutschland. Auch wenn die Projektbeteiligten ihre kommunikativen Probleme auch ohne sprachwissenschaftliche Hilfe lösen konnte, wurde durch die Begleitforschung doch ein Prozess angestoßen, der im Alltag interdisziplinärer Projekte vermutlich eher ausbleibt: eine Meta-Metakommunikation, d.h. die Reflexion dessen, was kommunikativ und metakommunikativ zu leisten ist, zu leisten war und geleistet wurde.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
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(2011) Wissensasymmetrien, Interaktionsrollen und die Frage der „gemeinsamen“ Sprache in der interdisziplinären Projektkommunikation. In: Fachsprache. International Journal of Specialized Communication, Jg. 2011, Issue 3-4, pp. 187-204.
Janich, Nina/Zakharova, Ekaterina
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(2012): Fachsprache, Fachidentität und Verständigungskompetenz – zu einem spannungsreichen Verhältnis. In: Berufsbildung in Wissenschaft und Praxis (BWP) Jg. 41.2012, Ausgabe 2: „Sprache und Beruf“, S. 10-13.
Janich, Nina
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(2012): Zwischen Wissensfusion und Interessenspaltung. In: Decker, Michael/Grunwald, Armin/Knapp, Martin (Hrsg.): Der Systemblick auf Innovation. Technikfolgenabschätzung in der Technikgestaltung. Berlin, 2012, S. 459-462
Zakharova, Ekaterina
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(2012): „Ich als Physiker“. Zum Zusammenhang von Fachsprache und Fachidentität. In: Voss, Julia/Stolleis, Michael (Hrsg.): Fachsprachen und Normalsprache. Valerio 14. 2012, S. 93-104.
Janich, Nina
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(2014) Fiktion „gemeinsame Sprache“? Interdisziplinäre Aushandlungsprozesse auf der Inhalts-, der Verfahrens- und der Beziehungsebene. Zeitschrift für Angewandte Linguistik, Vol. 61. 2014, Heft 1, S. 3–25.
Janich, Nina/Zakharova, Ekaterina