Handelnde Dinge in Literatur und Kultur von 1750 bis heute
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Anschließend an kultur- und sozialwissenschaftliche Debatten um die „Agency“ bzw. Handlungsmacht von Dingen, sowie um Durchdringungen von Materialität und Kultur, hatte sich das Projekt die Aufgabe gestellt, die lange und bis dato nicht aufgearbeitete Tradition literarischer Darstellungen von handlungsmächtigen Dingen aufzuarbeiten. Das sollte nicht etwa als bloße Motiv- oder Themengeschichte geschehen, sondern, vor dem Hintergrund einer Aufarbeitung der Theoriegeschichte der Dinge, das implizite oder explizite Wissen literarischer Texte um historische Formen von Dinglichkeiten rekonstruieren. Das Projekt hat in einer Reihe von Publikationen, Vorträgen, Tagungsbeiträgen und einer am Ende eigens veranstalteten Tagung zum Theme „Moralische Dinge“ beigetragen, die zum Antragszeitpunkt feststellbaren Forschungslücken zu schließen. Es konnte festgestellt werden, dass die literarische Fokussierung handlungsmächtiger Dinge in maßgeblichen Strängen einer kopernikanischen oder „anthropozentrischen“ Matrix kultureller Selbstdeutung zuwiderläuft. Dabei zeigte sich, dass die im Projekttitel angezeigte Eingangsschwelle 1750 mit Blick auf das Barock zu revidieren war. Es konnte nicht nur gezeigt werden, dass handlungsfähige Dinge zutiefst in gattungspoetologische Fragen hineinreichen, daher formulieren die vorliegenden Publikationen Erkenntnisse zu unterschiedlichen Genres, der Dingbiographie, der Ökonomik, dem Roman, handlungsmächtigen Dingen auf dem Theater, der Dingprosa, dem Dinggedicht u.a.m. Die Abschlusstagung fokussierte „moralische Dinge“ als Kristallisationsfigur der Problematik. Das hartnäckige Problem der Durchdringung von Materialität konfrontierte mit der Notwendigkeit, den Agency-Begriff teils zu fokussieren, teils auszuweiten und damit den Ding-Begriff weiter zu problematisieren. Ein Ergebnis des Projekts, literarische Texte nicht als geschlossene Systeme, sondern als Gebilde zu begreifen, in denen Figurationen der Dinge selbst ganz reale Spuren hinterlassen haben, wäre in einen Dialog mit neueren Tendenzen in der Epistemologie zu bringen. Diese, wie der neue Realismus und auch die „spekulative Poetik“, überschreiten den anti-essentialistischen Mainstream der Kulturwissenschaften im Hinblick auf ein aktualisiertes ontologisches Denken. Doch ausgerechnet hier scheint die Reflexion über Dinge noch schwach ausgeprägt; und das, obwohl die Ontologie traditionell die Disziplin war, Dinglichkeit zu verhandeln.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
- Die Sachen als Streitsachen der Idylle. In: Frauke Berndt/ Daniel Fulda (Hgg.): Die Sachen der Aufklärung. Beiträge zur DGEJ-Jahrestagung 2010 in Halle a. d. Saale, Hamburg 2012, S. 253-262
Uwe Steiner
- The Problem of Garbage and the Insurrection of Things. In: Gillian Pye (Hg.): Trash Culture. Objects and Obsolescence in Cultural Perspective, Bern 2010, S. 129-146
Uwe Steiner
- „Des Dingseins leise Erlösung“. Rilkes Ding-Poetik als Kontrafaktur zum Fetischismus-Diskurs. In: Hartmut Böhme/ Johannes Endres (Hgg.): Der Code der Leidenschaften. Fetischismus in den Künsten, München 2010, S. 362-381
Uwe Steiner
- Actio, Narratio und das Gesicht der Dinge. In: Zeitschrift für Medien- und Kulturforschung 1/2011, S. 185-203
Uwe Steiner
- Warum die reine Kunst der Aufzeichnung, warum Hi-Fi ans Lo-Fi verraten wurde. Greg Milner erzählt die Geschichte der aufgezeichneten Musik. In: Musik & Ästhetik 2/2011, S. 97-105
Uwe Steiner
- Ohrenrausch und Götterstimmen. Eine Kulturgeschichte des Tinnitus. München: Fink 2012
Uwe Steiner
- Vom Materialismus zur Materialität. Wie die Literatur des 19. Jahrhunderts handungsmächtige Dinge entdeckt, in: Herbert Kalthoff/Torsten Cress/Tobias Röhl (Hg.): Materialität. Herausforderungen für die Sozial- und Kulturwissenschaften, München: Fink 2016, S. 143-152
Uwe Steiner