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Biometrie als "soft surveillance". Die Akzeptanz von Fingerabdrücken im Alltag

Fachliche Zuordnung Soziologische Theorie
Förderung Förderung von 2009 bis 2014
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 151309264
 
Erstellungsjahr 2014

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Vor dem Hintergrund einer zunehmenden gesellschaftlichen Bedeutung freiwillig oder kooperativ preisgegebener Daten im Alltagsleben verfolgte das Projekt das Ziel, die Akzeptanz von Sicherheits- und Kontrolltechnologien am Beispiel des digitalen Fingerabdrucks zu untersuchen. Ausgangspunkt war die Annahme, dass Akzeptanz sich nicht zufriedenstellend als eine Frage vorgängiger und mehr oder weniger feststehender Einstellungen erschließt, sondern vielmehr kontextabhängig und an soziale Prozesse und kulturelle Alltagspraktiken gebunden ist. Kern der empirischen Untersuchung waren 185 Beobachtungen von Situationen der Registrierung beziehungsweise der Nutzung des Fingerabdruckverfahrens, sowie, daran anschließend, 69 qualitative Interviews (leitfadengestützt). Die Auswahl der Untersuchungssettings orientierte sich insbesondere am mutmaßlichen Grad der Freiwilligkeit der Partizipation bei der Preisgabe biometrischer Merkmale, wobei die Behörde mit dem Angebot der freiwilligen Aufnahme des Fingerabdrucks in dem ePersonalausweis eine besondere Schnittstelle zwischen Bürger und Staat darstellte, im Vergleich zu den anderen Anwendungssettings des Fingerabdruckverfahrens als Mittel der Zugangsbeschränkung in Automatenvideotheken, des Bezahlens im Supermarkt und in der Schulmensa sowie der Zeiterfassung am Arbeitsplatz. Ergänzend diente die Analyse von Informations- und Werbematerialien sowie die Durchführung von 17 Interviews mit Produktherstellern, Betreibern der Technologie sowie Fingerabdrucknehmern dazu, Prozesse der Akzeptanzbeschaffung nachzuzeichnen. Insgesamt konnte die theoretisch begründete Ausgangsannahme einer Kontextabhängigkeit von Akzeptanz nicht nur bestätigt, sondern auch weiter differenziert werden. Das Projekt knüpft damit an aktuelle Entwicklungen in der Akzeptanzforschung an und schreibt sie fort. Dabei hat Akzeptanz sich aus Sicht der Interviewten vor allem als ein ambivalentes und vielschichtiges Phänomen erwiesen, das sich nicht auf die bloße Abwägung von Vor- und Nachteilen reduzieren lässt und ebenso wenig mit bestimmten politischen Haltungen und Einschätzungen oder einem Wissen über den Umgang von Betreibern oder Behörden mit den Daten steht und fällt. Auch der öffentliche Diskurs bildet sich in den Argumenten und Einschätzungen der Interviewten ab, wobei ein Wissen über die Technologie sich gleichermaßen aus Fakten wie aus Fiktionen (Film, Literatur) speist und nicht in der Unterscheidung von objektiv (wahr) oder subjektiv (falsch) aufgeht. Macht man Akzeptanz an der tatsächlichen Nutzung fest, so erscheint die Relevanz der zunächst als wesentlich erachteten thematischen Spannungsfelder Gefährdungen vs. Schutz der Privatsphäre, Degradierung vs. Distinktionsgewinne und Überwachung vs. Sicherheit eher als marginal. Demgegenüber sind „sekundäre Motivationen“ wie Praktikabilität oder der „stumme Zwang“ eines Routinewissens über gewohnte Strukturen weitaus mehr mitbestimmend für eine faktische Nutzung oder Ablehnung der Technologie als gemeinhin angenommen. Insbesondere hat sich in unserer Studie herausgestellt, dass ein Vertrauen der Fingerabdruckgeber zu den jeweiligen Fingerabdrucknehmern das Verhalten moderiert und auch skeptische oder ambivalente Einschätzungen der Technologie überlagert. Für die Akzeptanzforschung insgesamt aufschlussreich ist der Grad der Reflexivität, den unsere Interviewten zeigten. Während der Fingerabdruck als biometrische Information unter den Aspekten von Datenschutz und Datensicherheit überraschenderweise für die Interviewten durchgängig kein besonderes Datum darstellt, unterscheidet sich die Frage der Privatheit sehr wohl in Abhängigkeit von der „Integrität“ der kontextuellen Verwendung.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

  • (2013): Big Data und Big Brother – was, wenn sie sich treffen? Über die vernachlässigte politische Dimension von Kontroll- und Überwachungstechnologien in der Akzeptanzforschung“. In: Kriminologisches Journal 25(4): 242-259
    Krasmann, Susanne; Kühne, Sylvia
  • (2013): Biometrie. In: Gröschner, Rolf; Kapust, Antje; Lembcke, Oliver W. (Hg.): Wörterbuch der Würde. München: Fink: 359-360
    Krasmann, Susanne; Wehrheim, Jan
  • (2013): Versicherheitlichung und Biometrie. Zur Verbreitung einer Kontrolltechnologie im Spannungsfeld von Staat, Ökonomie und Alltag. In: Klimke, Daniela; Legnaro, Aldo (Hg.): Politische Ökonomie und Sicherheit. Weinheim, Basel: Beltz Juventa: 303-318
    Kühne, Sylvia; Wehrheim, Jan
  • (2014): Definitionsmacht und Selektivität in Zeiten neuer Kontrolltechnologien. In: Schmidt-Semisch, Henning; Hess, Henner (Hg.): Die Sinnprovinz der Kriminalität. Zur Dynamik eines sozialen Feldes. Wiesbaden: Springer VS: 137-154
    Wehrheim, Jan
  • (2014): Die gesellschaftliche Konstruktion von Sicherheit. Zur medialen Vermittlung und Wahrnehmung der Terrorismusbekämpfung. Berlin: Schriftenreihe Forschungsforum Öffentliche Sicherheit
    Krasmann, Susanne; Kreissl, Reinhard; Kühne, Sylvia; Paul, Bettina; Schlepper, Christina
  • (2014): “My fingerprint on Osama’s cup.” On objectivity and the role of the fictive regarding the acceptance of a biometric technology. In: Surveillance and Society, Vol 12 No 1 (2014)
    Krasmann, Susanne; Kühne, Sylvia
    (Siehe online unter https://doi.org/10.24908/ss.v12i1.4718)
 
 

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