Detailseite
Projekt Druckansicht

Der Prozess der Entscheidungsfindung auf politischen Versammlungen des Spätmittelalters.

Fachliche Zuordnung Mittelalterliche Geschichte
Förderung Förderung von 2009 bis 2014
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 150038630
 
Erstellungsjahr 2014

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Dieses Projekt zeigt, dass es erkenntnisgewinnbringend ist, spätmittelalterliche Entscheidungsprozesse (=EPe) in einem politischen Kontext als gedankliche und also nicht als in erster Linie politische Prozesse zu betrachten. Antworten auf die Frage „Wie kann eine große politische Versammlung zu Entscheidungen bzw. zu einem Konsens über wichtige Entscheidungen kommen?“ wurden gesucht, indem der Fokus auf die Gedanken in dem Entscheidungsprozess gelegt wurde. Folgende Fragen stehen im Mittelpunkt: wo sind Spuren von gedanklichen Entscheidungsprozessen (=GEPen) in den Quellen wiederzufinden; welche Elemente, die GEPe beeinflussten, welche Mechanismen, Instrumente und Praktiken, die es erlaubten den GEP (ggf. bewusst und gezielt) zu steuern, sind erkennbar; und generell: wie können vergangene gedankliche EPe für den Historiker fassbar gemacht werden? Das Projekt basiert auf sechs Fallstudien aus drei Bereichen. Zwei Fälle entstammen dem kirchlichen Bereich: die Entscheidung über das Wahlverfahren des Konklave auf dem zweiten Konzil von Lyon (1274) und die Einigung auf das Dekret Haec sancta auf dem Konstanzer Konzil (1415). Zwei Fälle sind den Reichsversammlungen entnommen: die Einigung Karls IV. mit den Fürsten des Reiches in der Goldenen Bulle auf den Hoftagen in Metz und Nürnberg (1356) und die Entscheidung über Struktur und Verfassungsordnung des Heiligen Römischen Reiches auf dem Reichstag zu Worms (1495). Weitere zwei Fälle sind dem städtischen Bereich entnommen. Hier werden Entscheidungsprozesse im Florenz des 13. -14. Jahrhunderts und der „Glieder von Flandern“ im 14.-15. Jahrhundert untersucht. Der GEP wird in diesen Fällen untersucht in seinem gedanklichen Kontext des von außen und in sich selbst limitierten Geistes (auf Englisch, der Projektsprache: „mind“), der als „Denkrahmen“ bezeichnet wird. Um den GEP in seinem gedanklichen Kontext greifbar zu machen, muss die Begrenztheit der Gedanken beachtet werden. Die Fallstudien werden im Hinblick, erstens, auf den für einen gedanklichen Prozess notwendigen Informationstransfers, zweitens, auf die Integration der Information im persönlich und kulturell geprägten Denkrahmen und, drittens, auf das Ausschließen von Gedanken durch Außen- und Innengrenzen im Geist hin untersucht. Das erlaubt den GEP in den unterschiedlichen Fällen zum Vorschein kommen zu lassen und verschiedene Neueinschätzungen, z.B. über die Goldene Bulle als vorbereitete Entscheidung oder die Rolle der Bischöfe in dem Streit zwischen dem Papst und den Kardinälen über das Konklave-Dekret. Der Vergleich der unterschiedlichen Fallstudien auf (sehr) unterschiedlichen politischen Versammlungen wird ermöglicht durch ein Konzept, in dem die politische Versammlung als eine Kontraktion ihrer politischen Kultur gesehen wird und ein relationales Gebilde, bestehend aus Personen und deren Vorstellungen, ist, das sich viele Charakteristiken mit der politischen Kultur an sich teilt, sich aber durch eine deutliche Zielsetzung von ihr unterscheidet. Der Vergleich ist an Hand von 5 Themenfeldern geordnet. Zunächst wird versucht an Hand der Fallbeispiele den GEP selber als „Entscheidungskette“ besser zu greifen. Danach wird auf die Festlegung der Entscheidungen eingegangen, zunächst auf die schriftliche und dann auf die „rituelle“ Festlegung. Dies erlaubt z.B. eine bessere Einschätzung und Kontextualisierung von Entscheidungstexten und von ritualisierten Entscheidungsmomenten, die auch in der Forschung über politische EPe wesentlich ist. Ein viertes Themenfeld umfasst Instrumente und Praktiken, die den GEP fördern oder lenken sollen und zeigt, wie, oft sehr bewusst, versucht wurde, auf den gedanklichen Entscheidungsgang Einfluss zu nehmen. Schließlich wird auf in den Fallstudien erkennbare Denkarten eingegangen, die die GEPe beeinflussen. Hier wird gezeigt, dass die Untersuchung der Entscheidungspraxis es erlaubt, Vorstellungen, darüber wie Entscheidungen getroffen werden sollten, zu identifizieren, die entweder für einen, für zwei oder für alle untersuchten Bereiche (Kirche, Reich, Stadt) charakteristisch sind.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

  • Das Dekret Haec sancta und sein gedanklicher Kontext auf dem Konzil von Konstanz und auf dem Konzil von Basel, in: Annuarium Historiae Conciliorum, 41, 2009,1 S. 313-340
    Michiel Decaluwé
  • Der gedankliche Prozess der Entscheidungsfindung: Florenz im späten 13. Jahrhundert, in: Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven und Bibliotheken, 20, 2010, S. 73- 106
    Michiel Decaluwé
 
 

Zusatzinformationen

Textvergrößerung und Kontrastanpassung