Herstellung und Schaltverhalten neuer wismuthaltiger Hochtemperaturpiezokeramiken
Zusammenfassung der Projektergebnisse
In der Literatur ist hinreichend bekannt, dass in ferroelektrischen Keramiken mit tetragonal verzerrter Perowskitstruktur hohe interne Spannungen auftreten können, wenn sich das Material, im Rahmen des Herstellungsprozesses, von der kubischen Hochtemperaturphase in die tetragonale Tieftemperaturphase umwandelt. Auch ist bekannt, dass mechanische Spannungen das Verhalten von Ferroelektrika beeinflussen können. Jedoch wurde der Einfluss der tetragonalen Verzerrung (c/a-Verhältnis) auf das Schaltverhalten von Ferroelektrika bisher weltweit nicht adressiert, obwohl dessen Verständnis für die Herstellung neuer ferroelektrischer Materialien nötig ist. Um diese Wissenslücke zu schließen, wurde das aus der Literatur bekannte (1-x)(Bi1-yLay)FeO3-xPbTiO3 (BF-PT) als ein geeignetes Modellsystem identifiziert, um die systematische Untersuchung des Einflusses der tetragonalen Verzerrung auf das Schaltverhalten von Ferroelektrika durchzuführen. Über Variation des Lanthangehalts kann die tetragonale Verzerrung in BF-PT über einen Bereich von 1,10 bis 1,01 variiert werden. Anhand von Literaturinformationen wurden zunächst über die konventionelle Mischoxidroute 7 Zusammensetzungen hergestellt, von denen ausgegangen wurde, dass sie im Bereich der morphotropen Phasengrenze liegen und rhomboedrisch/tetragonal gemischte Kristallstruktur zeigen (Pulver-MPB). Aufgrund der hohen inneren Spannungen wandelt sich jedoch die tetragonale Struktur beim Sintern um, was zur Folge hat, dass im Zustand der gesinterten Keramik nur eine rhomboedrische Kristallstruktur nachweisbar ist. Daher wurden über eine Erhöhung des PbTiO3-Gehalts 8 Zusammensetzungen mit unterschiedlichem Lanthangehalt identifiziert, welche auch im Zustand der gesinterten Keramik rhomboedrisch/tetragonal gemischte Struktur besitzen (Volumen-MPB). Dabei ist es von der tetragonalen Verzerrung abhängig, wie viel zusätzliches PbTiO3 nötig ist, um ein zweiphasiges Material zu erhalten. Nachdem die Zusammensetzungen der Volumen-MPB feststanden, wurden sowohl Proben der Pulver- als auch der Volumen-MPB elektrisch charakterisiert. Die Proben wurden dabei mit einem maximalen elektrischen Feld von 8 kV/mm bei einer Frequenz von 4 Hz belastet und die resultierenden Polarisations- und Dehnungsänderungen simultan aufgezeichnet. Die Eigenschaften beider Stöchiometriegruppen zeigten, dass es unerheblich ist, ob Zusammensetzungen der Pulver-, bzw. Volumen-MPB betrachtet werden. Es wurde angenommen, dass der Bereich der MPB über einen weiten Zusammensetzungsbereich verschmiert ist, wodurch Volumen- und Pulver-MPB gleichermaßen von den „Vorteilen“ einer MPB profitieren. Eine tiefer gehende Analyse der Volumen-MPB in Abhängigkeit der tetragonalen Verzerrung zeigte, dass ein c/a-Schwellenwert für Domänenschalten bei c/a = 1,045 existiert, oberhalb dessen Domänenschalten nahezu vollständig unterdrückt ist. Dieser Schwellenwert ist unabhängig von der Belastungsamplitude, was über Rayleigh-Messungen bestätigt wurde. Weiter zeigte sich sowohl in den Großsignalmessungen als auch in den Rayleighmessungen, dass ab einer Lanthankonzentration von 30 at% die Domänenstruktur von BF-PT instabil zu werden beginnt, was zu verstärktem Rückschalten der Domänen führt. Als mechanisches Äquivalent zur elektrischen Charakterisierung wurden ungepolte C Proben der Volumen-MPB uniaxialen Belastungstests bei RT, 100 und 200 ° unterzogen. Die Möglichkeit der temperaturabhängigen ferroelastischen Messung war zum Zeitpunkt des Erstantrags nicht vorhanden und somit auch nicht geplant. Die Messungen zeigten, dass die pro Domänenschaltvorgang erzielbare Dehnung (ausgedrückt durch die spontane Dehnung) und das Domänenschalten zwei konkurrierende Faktoren darstellen, welche die Dehnung beeinflussen. Mit einer Reduktion der tetragonalen Verzerrung wird die spontane Dehnung, und somit die pro Schaltvorgang erreichbare Dehnung reduziert. Gleichzeitig erhöht sich aber die Anzahl der Domänenschaltvorgänge durch die reduzierten inneren Spannungen. Es zeigte sich, dass bis zu einer Lanthankonzentration von 7.5 at% (c/a = 1,045) die Anzahl der Domänenschaltvorgänge den Verlust in der spontanen Dehnung ausgleichen können. Wird dieser Lanthangehalt überschritten, so kann das Mehr an Domänenschalten die Reduktion der spontanen Dehnung nicht mehr ausgleichen und es wird mit abnehmender tetragonaler Verzerrung immer weniger Dehnung erreicht. Dabei wurden die höchsten Dehnungswerte für solche Zusammensetzungen gefunden, welche ein c/a-Verhältnis nahe 1,045 aufweisen. Diese Zusammensetzungen profitieren sowohl von einer hohen spontanen Dehnung als auch von einem hohen Maß an Domänenschalten. Im Rahmen dieser Untersuchungen wurde ebenfalls der im Falle der elektrischen Charakterisierung gefundene Schwellenwert bestätigt. Er besitzt auch für rein mechanische Belastungen Gültigkeit. Um das mechanische und elektrisch induzierte Schalten miteinander vergleichend betrachten zu können, wurde ebenfalls die Energiedissipation bei verschieden starker mechanischer und elektrischer Belastung betrachtet. Dabei liegt die elektrisch induzierte Energiedissipation deutlich oberhalb der mechanisch induzierten Energiedissipation. Dies wurde auf depolarisierende Felder zurückgeführt, welche beim Aufbau einer geordnet ausgerichteten Domänenstruktur entstehen. Diese wirken im Falle der elektrischen Belastung dem elektrischen Feld entgegen und müssen überwunden werden. Im Falle der rein mechanischen Belastung entsteht keine geordnete Domänenstruktur, womit depolarisierende Felder vernachlässigbar bleiben. Dies führt letztendlich zu einer niedrigeren Energiedissipation. Im Rahmen von Kollaborationen mit Dr. Jacob Jones (University of Florida, USA) wurden die hergestellten Materialien auch auf struktureller Ebene untersucht. Es wurden Röntgen- und Neutronenbeugungsexperimente in situ unter angelegtem elektrischem Feld und uniaxialer mechanischer Druckspannung durchgeführt und sollten ein besseres Verständnis der im Rahmen der elektrischen und mechanischen Charakterisierung ermittelten Effekte ermöglichen. Die am Argonne National Laboratory durchgeführten Röntgenbeugungsexperimente unter angelegtem elektrischen Feld bestätigten den Schwellenwert für Domänenschalten und zeigten, dass sich erst ab einer Lanthankonzentration von 10 at% eine Textur im Material ausbildet. Die am Oak Ridge National Laboratory durchgeführten Neutronenbeugungsexperimente unter mechanischer Druckbelastung zeigten eine deutlich geringere Steifigkeit der rhomboedrischen Phase im Vergleich zur tetragonalen Phase, welche zu einem signifikanten Teil zur Gesamtdehnung des Materials beiträgt. Auch konnte über ex situ durchgeführte Neutronenstreuexperimente gezeigt werden, dass sich erst ab einer Lanthankonzentration von 10 at% Lanthan eine drucklastinduzierte Textur nachweisen lässt, was wiederum eine Bestätigung des Schwellenwertes darstellt. Da es sich bei BF-PT um ein Hochtemperaturpiezoelektrikum handelt, wurden ebenfalls temperaturabhängige Messungen der Kristallstruktur, der Permittivität und des piezoelektrischen Koeffizienten (d33) durchgeführt. Aus den Permittivitätsmessungen ergab sich in Übereinstimmung mit der Literatur, dass die Curie-Temperatur mit zunehmender Lanthandotierung linear abnimmt. Dabei wurde ebenfalls, wie auch in der Literatur beschrieben, ein Rückgang der tetragonalen Verzerrung als Funktion der Temperatur festgestellt. Für die Bestimmung von d33 über der Temperatur wurde eigens ein Versuchsaufbau entwickelt, mit dem es möglich ist d33 in einem Temperaturbereich von -60 bis 600 ° zu C erfassen. Für diesen Aufbau wurde im Rahmen des Erstantrags ein Laservibrometer angeschafft, das es erlaubt, Dehnungen im pm-Bereich zu messen. Die Messungen erlaubten für Zusammensetzungen von mehr als 5 at% Lanthan eine Bestimmung der Depolarisationstemperatur Td. Die Depolarisationstemperaturen der übrigen Materialien konnten aufgrund erhöhter Leitfähigkeit nicht ermittelt werden. Dieses Projekt betrat mit dem Einfluss der tetragonalen Verzerrung auf das Domänenschalten völliges Neuland. Ziel war es, eine erste Basis für weitere mögliche Untersuchungen auf diesem Gebiet zu liefern. Da der zeitliche Rahmen begrenzt war bleiben Untersuchungen unter elektromechanischer Belastung und zur Schaltdynamik, genauso wie eine mögliche Modellierung der Ergebnisse für zukünftige Arbeiten. Desweiteren ist eine genauere strukturelle Untersuchung des Materialssystems BF-PT ebenfalls ein möglicher Ansatzpunkt für weitere Projekte. Die im Rahmen dieses Projektes erlangten Erkenntnisse können in der Entwicklung neuer piezoelektrischer Materialien Anwendung finden. So lässt sich z.B. sagen, dass in zukünftigen Piezoelektrika mit tetragonaler Perowskitstruktur beste Aktoreigenschaften für ein c/a-Verhältnis zwischen 1,01 und 1,045 zu erwarten sind. Beste Sensoreigenschaften sind für tetragonale Verzerrungen von 1,02 bis 1,045 zu erwarten. Dabei sollte der Schwellenwert von 1,045 nach Möglichkeit nicht überschritten werden.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
- Electroceramics XI, Manchester, UK, 31.08. - 04.09.2008. „Ferroelectric and ferroelastic properties of BiFeO3-PbTiO3 piezoceramics“
T. Leist, W. Jo, J. Rödel
- DKG-Jahrestagung / HLK-Symposium, Aachen, Deuschland, 23.03. - 26.03.2009. „Bismuth based high temperature piezoelectrics“
T. Leist, J. Chen, W. Jo, J. Rödel
- IEEE International Symposium on the Applications of Ferroelectrics (ISAF), Xian, China, 23.08. - 27.08.2009. “Temperature- Dependent Properties of High-T Piezoceramics”
T. Leist, J. Chen, W. Jo, and J. Rödel
- „Shift in Morphotropic Phase Boundary in La-Doped BiFeO3-PbTiO3 Piezoceramics“. Jpn. J. Appl. Phys. 48, 120205 (2009)
T. Leist, W. Jo, T. Comyn, A. Bell, J. Rödel
- Electroceramics XII, Trondheim, Norwegen, 13.06. - 16.06.2010. „Tetragonal distortion and its influence on domain switching in La-doped BiFeO3-PbTiO3 high temperature piezoceramics“
T. Leist, W. Jo, T. Granzow, J. Rödel, A. D. Prewitt, J. L. Jones
- Materials Science and Engineering MSE 2010, Darmstadt, Deutschland, 24.08 - 26.08.2010. „In situ measurement of the piezoelectric properties at high temperatures on bismuth based high temperature piezoelectrics“
T. Leist, W. Jo, T. Granzow, E. Aulbach, J. Chen, J. Rödel
- „Effect of tetragonal distortion on ferroelectric domain switching: A case study on La-doped BiFeO3-PbTiO3 ceramics“. J. Appl. Phys. 108, 014103 (2010)
T. Leist, T. Granzow, W. Jo, J. Rödel
- „Stress-induced structural changes in La-doped BiFeO3-PbTiO3 high-temperature piezoceramics“. Acta Mater. 58, 5962 (2010)
T. Leist, K. G. Webber, W. Jo, E. Aulbach, J. Rödel, A. D. Prewitt, J. L. Jones, J. Schmidlin, C. R. Hubbard
- „Domain switching energies: Mechanical vs. electrical loading in La-doped bismuth ferrite – lead titanate“. J. Appl. Phys. 109, 054109 (2011)
T. Leist, K. G. Webber, W. Jo, T. Granzow, E. Aulbach, J. Suffner, J. Rödel