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Parlamentarische Geschäftsordnungen und institutionelles Design

Fachliche Zuordnung Politikwissenschaft
Förderung Förderung von 2010 bis 2016
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 146229116
 
Erstellungsjahr 2017

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Parlamente sind hochgradig institutionalisierte Organe mit festen Regeln zu Verfahren und interner Organisation. Die Parlamentsforschung hat über Jahrzehnte herausgearbeitet, dass und wie institutionelle Regeln parlamentarische Prozesse und Ergebnisse beeinflussen. Dabei werden diese institutionellen Regeln meist als stabil angenommen. Diese Annahme ist zunächst eine analytisch bedingte Annahme. Natürlich sind parlamentarische Regeln nicht gottgegeben, sondern werden von politischen Akteuren selbst geschaffen, oft sogar von denselben Akteuren, deren Verhalten sie später strukturieren sollen. Wenn parlamentarische Regeln Einfluss auf Verhalten und Ergebnisse haben und die betroffenen Akteure diese Regeln selbst ändern können, liegt die Vermutung nahe, dass rationale Parlamentarier institutionelle Regeln nach ihren eigenen Vorstellungen gestalten und verändern. Dies gilt besonders für Geschäftsordnungen, die den Großteil parlamentarischer Regeln enthalten und fast immer von parlamentarischen Mehrheiten selbständig verändert werden können. Das Projekt beschäftigte sich mit der Frage, warum, unter welchen Bedingungen und in welchem Umfang parlamentarische Akteure Geschäftsordnungen reformieren. Das entwickelte theoretische Modell postuliert rationales Verhalten von parlamentarischen Akteuren, die mittels institutionellen Designs ihre substanziellen Ziele (z.B. die Umsetzung einer bestimmten programmatischen Agenda) möglichst gut umzusetzen versuchen. Entsprechend können Veränderungen in der Akteurskonstellation und/oder der Umwelt von Parlamenten Anreize für institutionelle Reformen bieten. Gleichzeitig sind Regeländerungen mit Kosten verbunden, z.B. durch den Zeitbedarf zur Ausarbeitung neuer Regeln und mögliche negative Reaktionen von Wählern. Kombiniert man Reformanreize und Kosten, ist zu erwarten, dass Geschäftsordnungen reformiert werden, wenn eine hinreichend große Mehrheit im Parlament von einer spezifischen institutionellen Alternative einen größeren Nettonutzen hinsichtlich ihrer substanziellen Ziele erwartet als vom institutionellen Status quo. Aus dieser Grundüberlegung wurden empirisch überprüfbare Hypothesen zu den Bedingungen von Geschäftsordnungsänderungen abgeleitet. Empirisch hat das Projekt zunächst eine vollständige Sammlung sämtlicher parlamentarischer Geschäftsordnungen in 15 westeuropäischen Parlamenten für den Zeitraum 1945 bis 2010 erstellt und digital aufbereitet. Diese Sammlung umfasst 780 Dokumente mit einer Gesamtlänge von gut 12,5 Millionen Worten (das entspricht etwa 14-mal der Länge des Gesamtwerks von William Shakespeare). Anschließend wurden sämtliche Änderungen zwischen aufeinanderfolgenden Versionen identifiziert und der Inhalt aller Geschäftsordnungen sowie die zu erwartenden Effekte aller Änderungen auf die Machtverteilung zwischen parlamentarischer Mehrheit und Minderheit kodiert. Dazu wurden neue Softwaretools entwickelt, die über das Projekt hinaus für die Kodierung und den Vergleich großer Textkorpora verwendet werden können. Die Textbasis des Projekts und die Softwaretools werden öffentlich zugänglich sein und bieten vielfältige Nutzungsmöglichkeiten für die vergleichende Parlamentsforschung und den quantitativen Textvergleich. Erste empirische Analysen zeigen, dass die Geschäftsordnungen europäischer Parlamente entgegen bisheriger Annahmen häufig und umfassend reformiert werden, was über Zeit zu einer massiven Zunahme der Regulierung parlamentarischer Organisation und Prozesse führt. Quantitative und qualitative Analysen bestätigen die theoretische Erwartung, dass sowohl Veränderungen in der Umwelt von Parlamenten (z.B. der Prozess der Europäisierung) als auch Wettbewerbserwägungen parlamentarischer Akteure (z.B. der Konflikt zwischen Regierung und Opposition) parlamentarische Regeländerungen auslösen. In einem größeren Kontext legen diese Ergebnisse nahe, dass eigeninteressierte politische Akteure Institutionen als eine Stellschraube verstehen, die bei Bedarf verändert werden können. Derartige Änderungen werden allerdings nur verfolgt werden, wenn die zu erwartenden Gewinne die Reformkosten übersteigen. Aufgrund dieser Einschränkung sind Institutionen stabiler als Policy- Entscheidungen und können dadurch das Verhalten politischer Akteure (in angebbaren Grenzen) strukturieren und beschränken. Die Softwarepakete rtext, diffrprojects, diffrprojectwidget implementiert in R, sind verfügbar über CRAN und Github (https://github.com/petermeissner?tab=repositories).

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

 
 

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