Die (Ohn-)Macht des Stärkeren? Thukydides und die interpolitische Ordnung
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Zusammenfassend ist festzuhalten, daß das Projekt eine Dynamik entwickelt und weiterführend freigesetzt hat, die initial kaum zu erwarten war. Viele angestoßene Prozesse weisen erst in die Richtung, in die auch künftig wird gearbeitet werden können. Die nahezu einheitlich positive Resonanz, die der Ansatz des Projekts bei vielen internationalen Partnern, die zu den prominentesten Exponenten des Thukydides-Diskurses zu rechnen sind, hervorgerufen hat, mündet nun in eine weiter zu institutionalisierende Zusammenarbeit, deren Umsetzung die nächsten Jahre in Anspruch nehmen wird. Dabei kommt dem Antragsteller besonders zugute, in welchem Maße sich die Freie Universität Berlin sein nunmehr erweitertes Projekt zu eigen gemacht hat und ihn bei der Konkretion unterstützt: Die eingerichtete Juniorprofessur, die explizit den Aufbau eines Berliner Thukydides-Zentrums an der Freien Universität zum Auftrag hat, zeugt von dem großen Engagement der Hochschule, ebenso wie das große Interesse, das seitens des Exzellenzclusters TOPOI signalisiert wurde. Die Fokussierung der Arbeiten auf den bislang unterrepräsentierten Aspekt der Ordnung als einem entscheidenden Motiv des thukydideischen Werks hat einerseits einen heuristischen Gewinn erbracht, darüber hinaus aber vor allem den eingefahrenen Diskurs zwischen den sich stark auf den athenischen Autor beziehenden Disziplinen wieder angeregt. Die wesentlichen Gedanken der Neuinterpretation des Thukydides: Thukydides ist weder Historiker noch expliziter Theoretiker allein, sondern er vermag anhand seines größten exemplum die entscheidende Bedeutung korrekter politischer Analyse herauszuarbeiten, zu der die Protagonisten seines Werks nicht in der Lage waren. Die Bedürfnisse der Poleis richtig zu erkennen wäre die Aufgabe der politischen Tätigkeit von Bürgern, die Orientierung der praktischen Maßnahmen am koine sympheron Voraussetzung für eine erfolgreiche Politik. Auf die interpolitische Ebene bezogen, bedeutet dies zu erkennen, welches System tatsächlich der gegebene Referenzrahmen für die eigene Analyse ist – erst wenn erkannt worden wäre, daß Hellas (und damit auch die einzelnen Poleis) durch diesen Krieg, dessen „Narrativ der Unvermeidlichkeit“ beide Seiten akzeptiert hatten (Christopher Clark zum 1. Weltkrieg), nichts zu gewinnen hatte, hätte der alethestate prophasis – in unserem Verständnis dem „entscheidendsten Hintergrund“ – des Konflikts entgegengewirkt werden können, die wegen der Akzeptanz der gegenseitigen Rivalität zum Zwang zu kämpfen geführt hatte. Es wäre also nötig gewesen, die engen Grenzen der Polis zugunsten eines größeren Zusammenhangs zu verlassen, um so ein tragfähiges zwischenpolitisches Konzept für Hellas zu entwickeln. Das „sehr reale Gefühl der Gegenseitigkeit“ (Treitschke), das Thukydides an einigen Stellen explizit, an anderen implizit einfordert, wäre die Basis für eine kluge politische Analyse gewesen, die sich in einem funktionalen rechtlichen Rahmen hätte verwirklichen können. Thukydides kann also als (häufig impliziter) Vordenker eines völkerrechtlichen Gedankens gelten, ebenso wie das von ihm analysierte Polis-System des 5. Jh. ein spezifisches Objekt der politischen Modellbildung und Reflexion werden könnte, sofern es nicht allein als Legitimation für neuere Ansätze herhalten muß. Die historischen Voraussetzungen mit der überzeitlichen Aussage zu verbinden konnte das Projekt zumindest in größeren Ansätzen leisten und damit einen Horizont eröffnen, der noch viel Potential für künftige Forschung birgt.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
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Ein Besitz für immer? Geschichte, Polis und Völkerrecht bei Thukydides, Baden-Baden 2011
Christian Wendt, E. Baltrusch (Hrsg.)
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Eine Völkerrechtsgeschichte ohne Thukydides?, in: Ein Besitz für immer? Geschichte, Polis und Völkerrecht bei Thukydides (Hgg. Baltrusch, E./Wendt, C.), Baden-Baden 2011, 215-228
Christian Wendt
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Herodot als Vater des politischen Realismus?, in: Herodots Wege des Erzählens. Logos und Topos in den Historien (Hgg. Geus, K./Irwin, E./Poiss, T.), Frankfurt/M. u.a. 2013, 345-357
Christian Wendt
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Thucydides and Political Order. Concepts of Order and the History of the Peloponnesian War. New York 2015
Christian Wendt, C. Thauer, Hrsg.
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Thucydides as a „statesmen’s manual“?, in: Thucydides and Political Order. New York 2015
Christian Wendt