FOR 621: Transformation der Religion in der Moderne. Religion und Gesellschaft in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Zum Zeitpunkt der Begründung der Forschergruppe 621 im Jahre 2005 war die Religionsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland als Teil ihrer Gesellschaftsgeschichte noch weithin eine terra incognita und – über Einzeluntersuchungen hinaus – jedenfalls kein Gegenstand systematischer interdisziplinärer Forschung. Das Ziel der FG 621 war deshalb erstens, in methodischer Hinsicht die in verschiedenen Fachkulturen (Geschichte, Soziologie, Evangelische und Katholische Theologie) vorhandenen Ansätze zur Beschreibung dieses Zusammenhangs zwischen Religionsgeschichte und Gesellschaftsgeschichte zusammenzuführen, zweitens, in inhaltlicher Hinsicht in bestimmten Forschungsbereichen (Sozialisation, Sozialformen, Mediale Repräsentationen und Semantiken) exemplarische Prozesse der Transformationen des Religiösen in der Bundesrepublik Deutschland zu beschreiben. Alle diese Ziele wurden im vergangenen Jahrzehnt erreicht. Die Dynamik des Zusammenwirkens der interdisziplinären Arbeitsgruppen, die eine neue Vielfalt von Methoden und entsprechende Lernprozesse in ihre Diskurse einbrachten, schlug sich bisher in über 130 Publikationen nieder, die entweder unmittelbar von der Forschergruppe oder von ihren Mitgliedern in anderen Kontexten veröffentlicht wurden (Stand 2014). In inhaltlicher Hinsicht kann als erstes und markantestes Ergebnis festgehalten werden, dass die Religionsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland im Kontext ihrer Gesellschaftsgeschichte nicht durch einseitige Niedergangszenarien charakterisiert werden kann. Vielmehr sind neben unbestreitbaren Erosionsprozessen der traditionellen Kirchlichkeit ebenso Neupositionierungen der Kirchen und von Religion allgemein im Raum der Öffentlichkeit zu beobachten, etwa in den Medien; Migrationen setzen neue religiöse Formen frei, die sich von ihrem ethnischen Hintergrund ablösen; neue religiöse Anbieter schieben sich in den entsprechenden Markt vor; herkömmliche Formen institutionalisierten sozialen Handels überlagern sich mit sozialen Bewegungen in der Zivilgesellschaft. Die Religionsgeschichte der Bundesrepublik kann also keineswegs als ein linearer Prozess beschrieben werden. Gleichwohl wurden im religiösen Kontext Prozesse wie Individualisierung, Professionalisierung oder Politisierung identifiziert, die jedoch nicht gleichförmig, sondern oft gebrochen waren, Gegenbewegungen auslösten u.a.m. Daraus ergibt sich zugleich, dass keine einheitliche Periodisierung der Verläufe möglich war: Auftakt zu beschleunigten Veränderungen war, so ergaben viele Teilprojekte, die zweite Hälfte der 1950er Jahre. Über den Abschluss oder das Ausklingen der Dynamik war jedoch kein klarer übergreifender Konsens herzustellen. Ein bemerkenswerter Befund war das Phänomen der Paradoxie, dass offenbar eine zunehmende „Unsichtbarkeit“ der Religion mit der Fortwirkung ihrer Wirkungen einhergehen kann, wie z.B. am Beispiel der konfessionsverschiedenen Ehen erkennbar wird. Das führt auch zu der Einsicht, dass ein harter Kern der in den untersuchten Jahrzehnten zu beobachtenden Veränderungen auch in den Kirchen selbst liegt, die sich gegenwärtig im Zuge des gesellschaftlichen Wandels neu positionieren und so neu „erfinden“.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
- (2011): Soziale Strukturen und Semantiken des Religiösen im Wandel. Transformationen in der Bundesrepublik Deutschland 1949–1989, Essen
Wilhelm Damberg u.a. (Hg.)