La Scapigliatura - Schreiben gegen den nationalen Kanon. Italiens Weg in die Moderne.
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Ziel des Forschungsprojekts zur Mailänder Avantgarde avant-la-lettre La Scapigliatura war die Neubewertung der Gruppenkonstituierung und ihrer Ästhetik. Nirgendwo in der italienischen Literatur des Ottocento löst sich der Generationsbegriff so offensichtlich von der diachronen genealogischen Bedeutung zugunsten einer synchronen kollektiven Identität wie in den Texten der Scapigliati, in denen sie sich ihrer Generation vergewissern und sie dabei performativ hervorbringen. Statt den in der Forschung üblichen Etikettierungen realismo, verismo, romanticismo oder decadentismo schlage ich vielmehr vor, die Scapigliatura als Schwellenphänomen zu betrachten. Schwellen bilden ein Dazwischen, sie sind nach beiden Seiten offen, trennen und vereinen. Sie schaffen einen ephemeren, paradoxen Zustand, und so sind fast zwangsläufig Personen und Texte auf der Schwellengrenze durch Ambiguität gekennzeichnet. Schwelle und Ambiguität werden in den Texten zu Metaphern, Verfahren etc., kurzum zum ästhetischen Prinzip. Das Spiel mit den intra- und intermedialen Bezügen, die Sprachspiele, die Inszenierung der Doppelgänger, die fantastischen wie grotesken und parodistischen Verfahren können so analysiert und kontextualisiert werden, ohne dass die Ambiguität als Anachronismus und Konzeptlosigkeit ausgelegt erscheint. Das zweite Ziel des Forschungsprojekts galt der Analyse der (Negativ)kanonisierung der Scapigliati. Während die Zeitgenossen die Texte der Scapigliati zunächst sowohl positiv als auch negativ als Kontrastfolie zum nationalen Kanon gelesen haben, setzen sich mit dem historisch-fortschreitenden Literaturgeschichtsmodell von Francesco De Sanctis und dem idealistischen Modell von Benedetto Croce zwei Modelle der Kanonisierung der italienischen Literatur durch, die beide beispielsweise intra- und intermediale Bezüge auf nicht italienische Texte als Verunreinigung bzw. Plagiat bewerten und für die die deformierten Körper in den Texten der Scapigliati zum Sinnbild des ebensolchen abzulehnenden Geistes- und Staatskörpers werden. Die Auseinandersetzung mit der Scapigliatura und ihrer Bewertung in der Literaturgeschichtsschreibung hat es zusammenfassend ermöglicht, über die Einzelergebnisse hinaus auch die kulturellen Formationsprozesse Italiens in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, die teilweise bis heute wirksam sind, zu beleuchten.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
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(2003) Tarchettis Gedicht Memento! als Groteske: „Labbro profumato“ und „bianco teschio“. In: Eva Erdmann (Hg.): Komische Körper. Bielefeld: transcript, S. 281-287
Sabine Schrader
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(2004) „L’umorismo è la letteratura dello scetticismo.“ (Dossi) – Formen des Komischen in der Literatur der Scapigliatura. In: Rolf Lohse/Ludger Scherer (Hg.): Komik und Avantgarde. Amsterdam: Rodopi (Critical Avantgarde Studies), S. 37-54
Sabine Schrader
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(2006) Neue Mythen – alte Medien? Zum ‘Malerischen’ in den Gedichten von Giovanni Camerana. In: Jasmin Hoffmann/Walburga Hülk-Althoff/Volker Roloff (Hg.): Alte Mythen – Neue Medien. Heidelberg: Winter, S. 19-32
Sabine Schrader
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(2007) „Col capo all'ombra – e colle gambe al sole!” Penombre von Emilio Praga. In: Elisabeth Tiller/Christoph Mayer (Hg.): Aurora – Indikator kultureller Transformation. Heidelberg: Winter, S. 263-275
Sabine Schrader
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(2010) Zerzauste Unruhe. Die Scapigliatura zwischen Langeweile und Nervosität. In: Rudolf Behrens/Rainer Stillers (Hrsg.): Inquietudini. Gestalt, Funktion und Darstellung eines affektiven Musters in der italienischen Literatur. Heidelberg: Winter, S. 81-100
Sabine Schrader