Von der internationalen Politik zum globalen Regieren: Der Wandel der Governance-Norm
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Damit internationale Organisationen die Unterstützung ihrer Mitgliedstaaten sowie der von ihrem Handeln betroffenen Menschen erhalten, müssen sie von diesen als legitim anerkannt werden: sie müssen zeigen, dass sie „gute“ internationale Organisationen sind. Da sich das internationale System in den vergangenen Jahrzehnten grundlegend verändert hat, ist jedoch davon auszugehen, dass auch die Legitimationsgrundlagen internationaler Organisationen einem Wandel unterliegen. Wie und warum, so fragen wir, haben sich die Standards „legitimer“ internationaler Organisationen seit 1970 verändert? Unsere Ergebnisse zeichnen ein komplexes Bild, dessen Kern sich in drei Punkten zusammenfassen lässt. Erstens bleiben traditionelle Legitimationsstandards der sogenannten „nationalen Konstellation“, die sich vor allem auf die Interaktion zwischen Staaten beziehen, weiterhin bestehen. Sie werden jedoch zunehmend um sogenannte „post-nationale“ Legitimationsstandards ergänzt, die stärker auf weltgesellschaftliche Normen abzielen. Die Liste der Erwartungen, die wir an internationale Organisationen richten, wird infolgedessen länger, heterogener und mitunter auch widersprüchlicher; dies stellt internationale Organisationen vor erhebliche Herausforderungen. Zweitens lassen sich die postnationalen Standards, deren Bedeutungszuwachs wir beobachten, grob in zwei Gruppen einteilen. Zum einen werden „menschenzentrierte“ Normen wichtiger. Um weiterhin als legitim zu gelten, müssen internationale Organisationen demnach nachweisen, dass ihre Dienstleistungen nicht nur den Mitgliedstaaten, sondern auch den Bürgerinnen und Bürgern in den Mitgliedstaaten zugutekommen. Zum anderen werden „verfahrensbasierte“ Normen relevanter. Internationale Organisationen müssen infolgedessen darauf achten, dass nicht nur die Ergebnisse ihres Handelns, sondern auch die Art und Weise, wie sie handeln und entscheiden, als legitim gelten können – das „Wie“ ergänzt das „Was“. Drittens schließlich sind die Gründe, aus denen internationale Organisationen zunehmend menschen- und verfahrenszentrierte Legitimationsstandards bedienen müssen, vielfältig. Einerseits ziehen die erweiterten Kompetenzen internationaler Organisationen Forderungen nach zivilgesellschaftlicher Teilhabe und Kontrolle nach sich, die sich zum Teil in öffentlichkeitswirksamen Protesten niederschlagen. Andererseits beobachten wir, dass das „ideelle Klima“ der Zeitenwende um 1989/90 den Aufstieg postnationaler Normen – etwa der Demokratie, des New Public Management, der Menschenrechte, der „menschlichen Sicherheit“ oder der „menschlichen Entwicklung“ – begünstigt und dass darüber hinaus einige der Prozesse, die wir untersuchen, eine in starkem Maße selbstverstärkende Dynamik entfalten. Zusammenfassend bedeuten alle drei Beobachtungen, dass die von uns untersuchten Organisationen heute anhand eines komplexeren und widersprüchlicheren Sets an Normen gemessen werden. Dies zeigt einerseits, dass sich internationale Standards tatsächlich verändern lassen; es stellt internationale Organisationen andererseits jedoch vor große Herausforderungen, diesen diversen Standards gerecht zu werden.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
- (2012) ‚Nichtstaatliche Akteure und der Wandel der Governance-Norm‘ In Der Aufstieg der Legitimitätspolitik: Rechtfertigung und Kritik politisch-ökonomischer Ordnungen, hg. v. Anna Geis, Frank Nullmeier und Christopher Daase. Baden-Baden: Nomos (=Leviathan Sonderheft 27/2012), 100-117
Dingwerth, Klaus und Tobias Weise
- (2014) ‘Global Democracy and the Democratic Minimum: Why Procedures Alone Are Insufficient‘ European Journal of International Relations 20 (4), 1024-1048
Dingwerth, Klaus
(Siehe online unter https://doi.org/10.1177/1354066113509116) - (2015) ‘Between Functionality and Legitimacy. German Diplomatic Talk about the Opening of Intergovernmental Organizations’ Global Governance 21 (1), 99-117
Weise, Tobias
(Siehe online unter https://journals.rienner.com/doi/abs/10.5555/1075-2846-21.1.99) - (2015) ‘Democracy is Democracy is Democracy? Changes in Evaluations of International Institutions in Academic Textbooks, 1970-2010’ International Studies Perspectives 16 (2), 173-189
Dingwerth, Klaus, Ina Lehmann, Ellen Reichel und Tobias Weise
(Siehe online unter https://doi.org/10.1111/insp.12069) - (2015): ‘Many Pipers, Many Tunes? Die Legitimationskommunikation internationaler Organisationen in komplexen Umwelten’, in: Internationale Organisationen: Autonomie, hg. v. Eugénia da Conceiçao-Heldt, Martin Koch und Andrea Liese (= PVS Sonderheft Nr. 49)
Dingwerth, Klaus, Ina Lehmann, Ellen Reichel, Tobias Weise, und Antonia Witt
(Siehe online unter https://doi.org/10.5771/9783845248516-191) - (2016) ‘Participation’ In: The Oxford Handbook of International Organizations, hg. v. Jacob Katz Cogan, Ian Hurd und Iain Johnstone. Oxford: Oxford University Press
Dingwerth, Klaus und Patrizia Nanz
- (2017) ‘Field Recognition and the State Prerogative: Why Democratic Legitimation Recedes in Private Transnational Sustainability Regulation’, Politics and Governance 5 (1), 75-84
Dingwerth, Klaus
(Siehe online unter https://doi.org/10.17645/pag.v5i1.794) - (2017) ‘Responsibility for Financing Biodiversity Conservation: An Analysis of the Convention on Biological Diversity’ In: Fairness and Justice in Natural Resource Politics, hg. v. Melanie Pichler et al. London: Routledge, 256-272
Lehmann, Ina