Punitivität - Erscheinungsformen und Genese
Zusammenfassung der Projektergebnisse
1. Das Projekt verfolgte als wissenschaftspolitisches und komparatives Ziel den Anschluss der deutschen kriminologischen und strafrechtssoziologischen Diskussion an Forschungen und Arbeiten vor allem angelsächsischer Herkunft zum „punitive turn“ in der Kriminalpolitik, ohne allerdings ein dezidiert komparatives Design vorzusehen. Das Konzept der Punitivität sollte begrifflich, dimensional und operational präzisiert werden. Differenziert wurde zwischen staatlicher Punitivität und Sanktionswünschen der Bevölkerung. Bei der Analyse staatlicher Punitivität widmeten wir uns der Gesetzgebung. Darüber hinaus wurden Umfragedaten über Ausmaß und mögliche Ursachen von Punitivität in der Bevölkerung erhoben. 2. Aussagen über die Entwicklung und Ursachen punitiver Einstellungen in der Bevölkerung wurden bislang durch den Umstand erschwert, dass es kein ausreichend standardisiertes Fragebogeninstrument zur Erfassung solcher Einstellungen gibt. In dem Projekt wurde ein neues Indikatorset zur Messung punitiver Einstellungen in der Bevölkerung entwickelt. Bei dieser Untersuchung hat sich herausgestellt, dass viele Indikatoren, die in der Forschungspraxis zur Messung von Punitivität herangezogen werden, dafür gar nicht geeignet sind. Überdies erlaubt der Querschnittscharakter der Daten keine dynamische Aussage über eine Tendenz der punitiven Entwicklung in der Bundesrepublik. Sein messtechnisches und methodologisches Potenzial im Sinne eines hinreichend reliablen und validen Attitüdensyndroms zum Konzept „Punitivität“ ist bescheiden – verglichen etwa mit den Anforderungen und den Möglichkeiten vergleichbarer amerikanischer Forschung, deren bereits erwähntes jüngstes Beispiel Punitivitätsmessungen – „using all 242 administrations of 24 different survey questions“ – für den Zeitraum von 1951-2006 (Ramirez 2013) vornimmt. Auch ist als Ergebnis dieses Projektteils festzuhalten, dass seine Befunde sich nicht in einer Weise aggregieren und verwenden lassen, die sich als deutscher Beitrag zur These Garlands verstehen kann. Surveydaten der hier zur Rede stehenden Art sowie generell quantitative Methoden und Befunde spielen für die von ihm herangezogene Empirie keine oder nur eine gering zu veranschlagende Rolle. Obwohl den Antragstellern die insbesondere eingeschränkte dynamische Qualität des durchgeführten Surveys bekannt war, haben sie die Möglichkeiten der vergleichshalber heranzuziehenden Vorgängerprojekte anderer Institute überschätzt. 3. Diesem „negativen“ Ertrag des Projekts, der gegen analoge Forschung auf diesem Feld der Punitivität gefeit machen sollte, stehen eher positive Befunde der übrigen Projektteile gegenüber. Zu den durch die DFG „genehmigten“ Projektteilen – eine vorgesehene Medienanalyse sowie die Einbeziehung des Strafvollzugs ist auf Empfehlung des Fachkollegiums nicht zustande gekommen – gehörte auch die Analyse der legislativen Veränderungen ausgewählter Teile des strafrechtlichen Normenkorpus – des materiellen Hauptstrafrechts zum einen, des Polizeirechts zweier Bundesländer (Bayern und Hamburg) zum anderen. Die Inhaltsanalyse der Strafgesetzgebung hat unserer Vermutung gemäß ergeben, dass sich in dem betrachteten zeitlichen Ausschnitt eine signifikante Expansion und Punitivierung des Strafrechts vollzogen hat. Sie weist deutliche Anzeichen des von Garland beschriebenen kriminalpolitischen Wandels auf, weshalb sich die forschungsleitende komparative Perspektive für diesen Projektteil als sinnvoller Ansatz herausgestellt hat. Die zögerliche Haltung der innerdeutschen‚Mainstream‘-Kriminologie, auch hierzulande von einer punitiven Wende zu sprechen, lässt sich vor dem Hintergrund dieser Teilbefunde des Projekts nicht verstehen. Zudem kann dieses Teilprojekt der Studie das Verdienst in Anspruch nehmen, mit der bisher von der auch nichtdeutschen Punitivitätsforschung weitgehend vernachlässigten legislativen Ebene einen kriminalpolitischen Aspekt für die Punitivitätsforschung erschlossen zu haben, auf dem sich die Rationalisierungsmuster der sich konstituierenden Punitivität sehr gut nachvollziehen lassen. Mit Blick gerade auf diese legislativen Teilbefunde des Projekts haben die vielfältigen Messprobleme, die in der Bevölkerungsbefragung zu Tage getreten sind, erneut deutlich werden lassen, dass es wenig Sinn macht, Punitivität isoliert als individuelle Einstellung zu untersuchen. Aus dieser Fixierung sollte sich die Punitivitätsforschung lösen und stattdessen die weiterführende Frage nach den Punitivität konstituierenden Praktiken und ihrer diskursiven Einbettung in den Mittelpunkt rücken, um zu verstehen, wie Punitivität in die weitere gesellschaftliche Ordnung eingeschrieben wird. Als Projekt“überraschungen“ mag man die negative Bilanz der Bevölkerungsbefragung bzw. des Surveyteils des Projekts bezeichnen, auch wenn man ihr zugute halten muss, dass sie einer weiteren Forschung dieser Art den Boden zu entziehen empfiehlt.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
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(2011): Das Sexualstrafrecht als Motor der Kriminalpolitik. In: Kriminologisches Journal 43. S. 247-268
Sack, Fritz/Christina Schlepper
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(2011): Stopping the ‘Punitive Turn’ at the German Border. In: H. Kury/E. Shea (Hg.): Punitivity International Developments . Vol. 1: Punitiveness – a Global Phenomenon? Crime & Crime Policy Vol. 8/1. Bochum. S. 289-340
Klimke, Daniela/Fritz Sack/Christina Schlepper
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(2012): Ökonomisierung von Kriminal- und Sicherheitspolitik. In K. Boers (Hg.): Kriminologische Perspektiven. Münster. S. 106-138
Sack, Fritz