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Die doppelte Kontingenz der Inszenierung. Zur Präsentation politischer Akteure in Personality-Talkshows des deutschen Fernsehens

Antragstellerinnen / Antragsteller Professor Dr. Andreas Dörner; Professorin Dr. Ludgera Vogt
Fachliche Zuordnung Empirische Sozialforschung
Förderung Förderung von 2009 bis 2011
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 120729276
 
Erstellungsjahr 2011

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Personenzentrierte Talkshows stellen in der deutschen Fernsehlandschaft mittlerweile eine akzeptierte und willkommene Präsentationsbühne für Politiker dar. Auf der einen Seite öffnen Personality-Talkshows vor allem in den öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten ihre Gesprächsrunden für politische Akteure, die inzwischen die übliche Zusammensetzung aus Show- und Sportprominenz sowie Repräsentanten gesellschaftlicher Institutionen selbstverständlich ergänzen. Die Redaktionen dieser Sendereihen greifen ein wahrgenommenes Zuschauerinteresse auf, Volksvertreter für ein der Politik eher fernstehendes Publikum als Privat- und Familienmenschen zu inszenieren. Zum anderen wird das Angebot der Medien auch von Seiten der Politik stark nachgefragt. Politische Akteure machen in Personality-Talkshows Foren zur Selbstdarstellung jenseits sachpolitischer Funktionsrollen aus und erhoffen sich durch ihre Inszenierung in privaten Rollen Bekanntheitssteigerung und Sympathiepunkte in der Wählerschaft. Auftritte in Personality-Talkshows bieten politischen Akteuren Chancen, bergen aber auch Risiken. Politiker nutzen die Sendungen als öffentlichkeitswirksame Bühne für ihre Selbstdarstellung, sind dabei aber gezwungen, sich vielfältigen Herausforderungen zu stellen, die sie nicht gänzlich beherrschen können. Wesentliche Faktoren für einen ‚gelungenen’ Auftritt sind zum einen der kompetente Umgang mit Kontingenzen auf unterschiedlichen Ebenen, d.h. die Kontrolle derjenigen Faktoren, die die Selbstdarstellung gefährden könnten. Störungen der Inszenierung von Politikern bei Auftritten in Personality-Talkshows gehen von Akteuren und Faktoren vor den Kameras (Moderation und übrige Gäste), aber in großem Maße auch von Akteuren und Elementen hinter den Kameras (redaktionelle Selektionsprozesse, Einspieler, Inserts, Schnitt, Montage und Beleuchtung) aus. Zum anderen hat sich die Kommunikationssituation in Personality-Talkshows als ausgesprochen dynamisch erwiesen. Jenseits aller Konventionen und Routinen, die Talkshows typischerweise kennzeichnen, handelt es sich um hochgradig interpretationsoffene Inszenierungen, die von Sendung zu Sendung unterschiedlich ausgestaltet werden können. Politikern wird somit die Fähigkeit abverlangt, sich nicht nur flexibel auf Sendungsrahmungstypen – wie Casting-Show, Comedy oder Krisentalk – einzustellen, sondern selbst aktiv an der Definition der jeweiligen Rahmung mitzuwirken. Unterschiedliche Sendungsrahmungen eröffnen politischen Akteuren zwar vielfältige Präsentationsmöglichkeiten, fordern jedoch bestimmte Darstellungstechniken ein – wollen die Akteure nachhaltigen Imageschäden vorbeugen, weil ihr Verhalten vom Zuschauer als unangebracht wahrgenommen werden kann. Politiker reagieren auf dieses Spannungsfeld mittels unterschiedlicher Techniken. Selbstaussagen politischer Akteure und die Untersuchung interner Redaktionsdossiers belegen erstens eine akribische Vorbereitung auf Medienauftritte, die häufig von Beratern professionell unterstützt wird. Mit den Redaktionen von Talkshows werden im Vorfeld Gesprächsthemen abgesprochen und inhaltliche Grenzen abgesteckt. Zweitens halten Politiker bestimmte Sprachregelungen für den Fall bereit, dass sie sich im Verlauf der Sendung unerwarteten Angriffen ausgesetzt finden. Viele haben sich regelrecht antrainiert, konfrontatives Nachfragen durch den Moderator oder andere Gäste ironisierend abzuschwächen. Wenn es trotz der vorbereitenden Maßnahmen und Techniken im Gesprächsverlauf zu kontingenten Talkshowauftritten kommt, haben Politiker drittens die Möglichkeit, sich im Nachgang der Sendung bei den verantwortlichen Redakteuren oder beim Rundfunkrat zu beschweren. Angesichts der gegenwärtigen Ausweitung des Talkshowangebots im deutschen Fernsehen bleibt dieses Genre für politische Akteure ein umkämpftes Terrain, dessen Fallstricke fortlaufend neue Mittel des Kontingenzmanagements einfordern. Die Risiken für die Selbstdarstellung politischer Akteure in Personality-Talkshows sind weit größer als die Forschung bislang vermutet hatte. Angesichts aktueller Entwicklungen in der Programmlandschaft werden diese Kontingenzpotentiale noch weiter zunehmen: Neue Formate kombinieren z.B. Comedy und Politikvermittlung (wie z.B. bei „Pelzig hält sich“, ZDF; „Krömer – Die internationale Show“, rbb). Zudem sind Kooperationen zwischen Fernsehsendern und Bildungseinrichtungen geschlossen worden (z.B. „Sido geht wählen“, ProSieben in Zusammenarbeit mit der Bundeszentrale für Politische Bildung). Nicht zuletzt führt die Zusammenführung klassischer Fernsehgenres wie der Talkshow mit Angeboten des Web 2.0 zu größerer Interaktivität und erweiterten Selbstdarstellungsmöglichkeiten. Das Forschungsprojekt fand in zahlreichen Berichten und Interviews mit der Projektleitung in Print- (Oberhessische Presse, 20. Mai 2009; Westdeutsche Zeitung, 7. Dezember 2009) und Rundfunkmedien (Deutschlandradio, 7. Mai 2009, 12. September 2011; WDR 5 Radio, 29. August 2009, 26. September 2009; Deutschlandfunk, 13. Dezember 2010; mittagsmagazin (ZDF), 14. Dezember 2010; weck up (Sat.1), 9. Januar 2011) Beachtung.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

  • (2009). Personality-Talkshows: Riskante Bühnen für politische Akteure. In: Sascha Michel & Heiko Girnth (Hg.), Polit-Talkshows – Bühnen der Macht. Ein Blick hinter die Kulissen (S. 191-207). Bonn
    Dörner, Andreas & Vogt, Ludgera
  • (2010). Die Personality-Talkshow: Inszenierung und doppelte Kontingenz. In: Robert Grünewald, Ralf Güldenzopf & Melanie Piepenschneider (Hg.), Politische Kommunikation. Beiträge zur politischen Bildung (S. 219-230). Münster
    Dörner, Andreas, Eisentraut, Steffen & Vogt, Ludgera
  • (2010). Kritik des politischen Talks. Betrachtungen zur normativen Problematik eines populären Fernsehgenres. In: Andreas Kirchner et al. (Hg.), Kritik des Ästhetischen - Ästhetik der Kritik. Festschrift für Karl Prümm zum 65. Geburtstag (S. 72-80). Marburg
    Dörner, Andreas
  • (2011). Inszenierung und Kontingenz. Das „Neue“ als Produkt von kommunikativen Kollisionen. In: Norbert Schröer & Oliver Bidlo (Hg.), Die Entdeckung des Neuen. Qualitative Sozialforschung als Hermeneutische Wissenssoziologie (S. 185-200). Wiesbaden
    Dörner, Andreas & Vogt, Ludgera
  • (2011). Wahlkampf auf dem Boulevard. Personality-Talkshows, Personalisierung und Prominenzkapital zwischen Haupt- und Nebenwahl. In: Jens Tenscher (Hg.), Superwahljahr 2009. Vergleichende Analysen aus Anlass der Wahlen zum Deutschen Bundestag und zum Europäischen Parlament (S. 199-222). Wiesbaden
    Dörner, Andreas & Vogt, Ludgera
 
 

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