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Atheistische Erinnerung und kommunistischer Untergang. Spätsowjetische Inszenierungen von Fortschritt und Geschichte zwischen Utopieverlust und erinnerungskultureller "Wiederverzauberung" (1957-1991)

Fachliche Zuordnung Neuere und Neueste Geschichte (einschl. Europäische Geschichte der Neuzeit und Außereuropäische Geschichte)
Förderung Förderung von 2009 bis 2011
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 115486742
 
Das Projekt schließt an das für die Gedächtnis Forschung maßgebende, u.a. auf die Stätten der Verkündigung im Heiligen Land von Maurice Halbwachs zurückgehende Motiv „Religion und Erinnerung" an (Halbwachs 1985, 2003; Hervieu-Léger 2000; J. Assmann 2000, 2004). Die Untersuchungsgegenstände sind aber nicht die Kirchen, sondern ihre Erinnerungsspuren im Funktions- und Speichergedächtnis des Sowjetatheismus, der sie im Spannungsfeld zwischen „Gedächtnismord" und „Erinnerungsgebot" aufbewahrte. Dieses Gedächtnis bediente sich spezieller Stätten und Medien (Atheismusmuseen, atheistische Kalender, religionsgeschichtliche Stadtrundfahrten, Malerei, Ritualorte), die im Projekt nach ihrer Funktionsweise als Gedächtnisorte befragt werden. Es wird angenommen, dass in der späten Sowjetunion die Religion als ein Gedächtnisort im Sinne Noras zurückkehren konnte, da sie aus der kommunikativen Alltagsgegenwart bereits eliminiert worden war. Das übergeordnete Erkenntnisinteresse des Projekts gilt den erinnerungskulturellen Ursachen der politischen Wende in der späten Sowjetunion. Speziell sollen Verschiebungen im Verhältnis von Fortschritt und Erinnerung bei der Transformation der sowjetischen „Erwartungsgesellschaft" in eine Gesellschaft der „gestorbenen Zukunft" (Gries 1997) am Beispiel der atheistischen Religionserinnerung betrachtet werden. Dieser Projektfokussierung gehen gedächtnistheoretische Vorüberlegungen und soziologisch gestützte Befunde voraus, wonach dem Religionsdiskurs eine Schlüsselrolle einerseits für den sowjetischen Erinnerungsboom und andererseits für die Erosion der kommunistischen Fortschrittsgläubigkeit seit den 1960er Jahren zukommt (Stölting 1991, Furman 1998; Greeley 1998; Mitrochin 2003). Als Arbeitshypothese gilt, dass sich um die Religion ein subversiver erinnerungskultureller Gegendiskurs verdichtet und in den Rang einer normativen Vergangenheitsvergegenwärtigung erhoben hat, so dass er als „Religion des Bewahrens" (Nora 1990) und „unsichtbare Religion" (Luckmann 1991) beschrieben werden kann. Das Projekt untersucht eine „Wiederverzauberung" (Weber 1980) der Welt im Zeichen der „abergläubischen Verehrung der Spur" (Nora 1990), die die atheistische Gedächtnispolitik nicht einfach von außen unter Druck setzte, sondern auch von innen implodieren ließ. Die Untersuchungsebenen definieren sich über den Zeitbegriff Neben den die Vergangenheit und Zukunft vermittelnden atheistischen Einrichtungen nimmt die Untersuchung die Hauptträger des „antiquarischen Gedächtnisses" (z.B. Denkmalschutz, Memorialfriedhöfe, Ikonensammlungen) und Institutionen der Zukunftsorientierung (Futurologie, wissenschaftliche Prognostik und Phantastik, Technikausstellung) in den Blick.
DFG-Verfahren Sachbeihilfen
 
 

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