Klassenmanagement als Kernbereich professioneller Expertise von Lehrkräften an Hauptschulen. Rekonstruktion von Wissen, Orientierungen und Können bei Experten und Novizen
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Erstmalig wurde mit unserem Projekt eine qualitative Experten-Novizen-Studie zum Klassenmanagement in Sekundarschulklassen mit hoher Störungsanfälligkeit durchgeführt. Damit wurde ein oft angemahntes Forschungsdesiderat bearbeitet. Die wichtigsten Ergebnisse der Studie sind: Die Etablierung eines Handlungsvektors hat für den Verlauf des Unterrichts entscheidenden Stellenwert. In den von uns untersuchten Settings explizieren Expertenlehrkräfte das Handlungsprogramm nicht nur ausführlicher (und erwartungswidrig zeitintensiver) als Novizen, sondern sie verpflichten alle Schülerinnen und Schüler auf den Handlungsvektor, bevor sie das Signal zur nachfolgenden Aktivität (z.B. Einzelarbeit) geben. Die Etablierung und Aufrechterhaltung von Handlungsvektoren erfordert in hochgradig störungsanfälligen Settings eine kontinuierliche Steuerung der Aufmerksamkeit der Schülerinnen und Schüler. Das gilt, so legen erste Befunde zu Austeilprozeduren nahe, auch für hochstandardisierte Abläufe, die in weniger störungsanfälligem Unterricht oft nur enaktiert werden und dann quasi-automatisch ablaufen. Neben spezifischen Techniken der Gruppenaktivierung, wie mobilisierendes Aufrufen, kommen kontinuierlich verbale, nonverbale und paraverbale Signale der Aufmerksamkeitssteuerung zum Einsatz. Insbesondere der Umgang mit Störungen, der in der gegenwärtigen Forschung zum Klassenmanagement zugunsten störungspräventiven Handelns oft vernachlässigt wird, tritt unter den Bedingungen einer hohen Störungsanfälligkeit als zentraler Aspekt wirksamen Klassenmanagements hervor. Spezifische Strategien, wie ostentatives Ignorieren, Übersprechen oder Einbinden von Störern – immer mit dem Ziel der Aufrechterhaltung des primären Handlungsvektors – prägen das Klassenmanagement von Experten. Was die Analyse handlungsleitender Überzeugungen betrifft, so konnte gezeigt werden, dass sich die Beliefs von Experten und Novizen nicht nur hinsichtlich der Funktionalität von Überzeugungen unterscheiden, sondern dass die Beliefs von Experten in einem sehr viel höheren Maße verknüpft sind und aufeinander Bezug nehmen. Experten sind überzeugt, dass die Etablierung von Verhaltensnormen und der Umgang mit Konflikten Teil eines professionellen Mandats sind, im Kontext der Aufrechterhaltung von Arbeitsbündnissen gesehen werden sollten und vor dem Hintergrund eines differenzierten Schülerbildes bearbeitet werden sollten. Die durchgeführten Analysen zu Strategien und Handlungsmustern des Klassenmanagements zeigen nicht nur die Bedeutung der situativen Passung, sondern auch des systematischen Ineinandergreifens von Einzelhandlungen (Orchestrierung). Walter Doyles Konzept des Klassenmanagement, das im deutschsprachigen Raum im Unterschied zu dem Konzept Jacob Kounins noch wenig rezipiert wird, erwies sich für unsere Analysen als außerordentlich fruchtbar. Eine breitere Debatte über die Erweiterung des in der deutschsprachigen Unterrichtsforschung dominierenden, vergleichsweisen engen Konstrukts Klassenmanagement im Sinne Walter Doyles erscheint uns vor dem Hintergrund unserer Ergebnisse wünschenswert.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
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(2012): Ekspertyza nauczycielska w zarzadzaniu klasa – Lehrerexpertise im Klassenmanagement. Keryks Forum Pedagogicznoreligijne. Religionspädagogisches Forum, 9 (2010), 357–378
Ophardt, D. & Thiel, F.
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(2012): Steuerung von Übergängen im Unterricht. Eine Experten-Novizen-Studie zum Klassenmanagement. Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, 15(4), 727-752
Thiel, F., Richter, G. S. & Ophardt, D.
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(2013): Klassenmanagement – Ein Handbuch für Studium und Praxis. Stuttgart: Kohlhammer
Ophardt, D. & Thiel, F.