Europäische Identitätskonstruktionen in EU-Ländern
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Das Projekt „Nationale Konstruktionen europäischer Identität“ integriert Identitäts- und Öffentlichkeitsforschung auf der Grundlage eines öffentlichkeitstheoretischen Verständnisses von Identität als kollektivem Resultat öffentlichen Diskurses. Das Projekt untersucht mittels quantitativer Medien-Inhaltsanalysen die EU-bezogenen Identitätskonstruktionen in sieben ausgewählten EU-Mitgliedsländern und der Schweiz. Im Mittelpunkt stehen die inhaltlichen Deutungen der EU und die Stärke europäischer Identität auf einer affektiven und einer utilitaristischen Dimension. Hintergrund der Analyse ist die Annahme von national unterschiedlichen Deutungen der Gemeinschaft, die zu entsprechend national unterschiedlich starken europäischen Identitäten führen können. Ziel ist es, neben den nationalen Unterschieden einen gemeinsamen Identitätskern zu identifizieren, der Anknüpfungspunkte für die EU-Politik im weiteren Verlauf des Integrationsprozesses bietet. Die Daten zeigen erhebliche Unterschiede sowohl in der Stärke europäischer Identität als auch in den inhaltlichen Deutungen der EU. Dabei entspricht die Stärke europäischer Identität nicht in allen Ländern den Ergebnissen der identitätsbezogenen Umfrageforschung. Die dort etablierte Kategorisierung der Länder in integrationsfreundliche und EU-skeptische Staaten kommt in den EU-bezogenen öffentlichen Diskursen nicht wie erwartet zum Ausdruck. Zudem stellen die Daten den von der Umfrageforschung oft behaupteten Vorrang utilitaristischer Identifikation mit der EU in Frage. In fast allen Ländern wird europäische Identität auf der affektiven Dimension häufiger und positiver artikuliert als auf der utilitaristischen Dimension. Die kollektiv reflektierte Identifikation mit der EU erweist sich also als grundlegend anders als die in den Umfragen gemessenen individuellen Identifikationen. Es ist davon auszugehen, dass die politischen Eliten EU-relevante Entscheidungen mit Blick auf beide Indikatoren öffentlicher Meinung treffen. Die Ergebnisse zeigen zwar nationale Unterschiede in der Stärke europäischer Identität, diese verlaufen jedoch nicht zwischen den Ländern in der Eurozone, dem Schengenraum, dem Zirkel einfacher Mitgliedschaft und der Schweiz als Nicht-EU-Land. Der Grad der formalen Integration erweist sich also nicht als entscheidend für die Stärke europäischer Identität. Auch die Dauer der Mitgliedschaft ist nicht entscheidend. In Bezug auf die inhaltlichen Deutungen der EU betreffen die Unterschiede vor allem Deutungen der EU als kulturell verbundene Gemeinschaft, als eine Verfassungsgemeinschaft und als ein Staatenbund. Es zeigt sich jedoch auch als gemeinsamer Kernbestand ein gewisses Maß an Übereinstimmung: Die Deutungen der EU als politische Wertegemeinschaft, als Bundesstaat, als gemeinsamer Markt und als Gemeinschaft mit gemeinsamer Innenpolitik sind in allen Ländern stark vertreten. Während die politischen Kernframes und auch die Deutung der EU als eine kulturell verbundene Gemeinschaft überwiegend mit der affektiven Dimension von Identität verbunden sind, ist die Deutung der EU als gemeinsamer Markt vorrangig an die utilitaristische Dimension geknüpft. Auch der Euro, dessen identitätsstiftende Rolle in politischen Debatten oft behauptet wird, ist nur in der utilitaristischen Dimension relevant und tritt auch auf dieser Dimension kaum identitätsstiftend in Erscheinung. Dies unterscheidet erneut die Daten der Inhaltsanalyse von denen der Umfrageforschung. Ein weiterer zentraler Befund des Projekts ist die Kontextabhängigkeit europäischer Identität. Erweiterungen bringen bei den alten Mitgliedsländern Unsicherheiten mit sich – etwa Ängste vor Konkurrenz oder vor „Überfremdung“. Das wird vor allem auf der utilitaristischen Dimension von Identität spürbar. Deutlich wird aber auch, dass die affektive Dimension in den Erweiterungsrunden die Stärke europäischer Identität stabilisiert. Vertiefungen hingegen beeinflussen – zumindest wenn sie wie die Referenden 2005 und 2008 mit einem Scheitern verbunden sind – auch die affektive Dimension. Zusammengefasst teilen die Länder trotz nationaler Spezifika einige Perspektiven in ihren nationalen Identitätsdiskursen zur EU. Die Diskurse sind jedoch starker abhängig von der Ereignislage und können gerade bei Misserfolgen oder bei Unsicherheiten einen negativen Grundton erhalten. Dieser betrifft weniger die affektive Dimension von Identität, auf der größere Übereinstimmung herrscht, als vielmehr die utilitaristische Dimension, auf der eine größere Diskrepanz zwischen den Ländern in ihren Deutungen zur EU besteht. Unsicherheiten über Europa münden also in Dissens über den Nutzen von Europa, der nur bedingt über die stabilere affektive Dimension eingehegt wird.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
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(2010): Diskursive Konstruktionen von Europa. Eine Integration von Öffentlichkeits- und Identitätsforschung. In: Medien & Kommunikationswissenschaft Vol. 58(2), S. 190-207
Eilders, Christiane/Lichtenstein, Dennis
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(2011): A European Football Family? German and British Television Broadcasts of the 2010 Football World Cup and the Representation of Europe. In: Global Media Journal. German Edition, Vol. 1(1), S. 1-20
Lichtenstein, Dennis/Nitsch, Cordula
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(2011): Collective constructions of European identity in the debates on the eastward enlargement and the Constitution of the EU. KFG-Kolloquium an der FU Berlin. Berlin
Eilders, Christiane
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(2011): Integrationsprozesse in segmentierten Öffentlichkeiten. Die EU als Integrationschance für die Parallelgesellschaften in Lettland? In: Global Media Journal. German Edition Vol. 1(2), S. 1-25
Lichtenstein, Dennis/Eilders, Christiane/Perlova, Julija
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(2011): Repräsentation und Abgrenzung durch europäische Identität. Diskursive Konstruktionen von EU-Vorstellungen in West- und Osteuropa. 3. Napoko-Kolloquium in Dresden, 23.-25. Juni 2011
Lichtenstein, Dennis
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(2012): Auf der Suche nach Europa: Identitätskonstruktionen und das integrative Potential von Identitätskrisen. In: Aus Politik und Zeitgeschichte Vol. 62(4), S. 3-7
Lichtenstein, Dennis
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(2012): Die Politisierung europäischer Identität in der Euro-Schuldenkrise. In: Konvent für Deutschland (Hrsg.): Quo vadis Euopa? Tagungsdokumentation zur Perspektivkonferenz am 24. Mai 2012, S. 31-38
Lichtenstein, Dennis
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(2012): Measuring European Identity in Media Discourses: A Quantitative Approach Presented on the Example of the Irish Referendum for Ratifying the Treaty of Lisbon. ECPR Joint Session Workshop Comparing National Experiences of European Integration, 10-15 April 2012, Antwerpen
Lichtenstein, Dennis