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Das barocke Schiffsheck als Architekturprospekt.
Antragsteller
Professor Dr.-Ing. Christian Raabe, seit 11/2013
Fachliche Zuordnung
Architektur, Bau- und Konstruktionsgeschichte, Bauforschung, Ressourcenökonomie im Bauwesen
Förderung
Förderung von 2009 bis 2016
Projektkennung
Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 110652528
Das Forschungsprojekt geht von der Feststellung aus, daß sich die Heckspiegel der barocken Schiffe um die Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert vom bloßen Wappen - und Emblemträger in Prospekte verwandeln, die nach architektonischen Prinzipien gestaltet werden. Sie übernehmen in der Stockwerkshierachie ihres geschoßweisen Aufbaus, in der Axialität ihrer Fassadenarchitektur mit zentral angeordnetem Erscheinungsbalkon und bekrönendem Wappengiebel, sowie in der Adaption der üblichen architektonischen Nobilitierungselemente, wie Säulen und Pilaster in korrekter Supraposition, die charakteristischen Elemente und Typologien der zeitgenössichen Herrschaftsarchitektur. Sogar das Corpsde- Logis- und Pavillonschema wandert aus dem Schloßbau der Epoche in den Schiffbau und wird dabei in die Architektur der Achterkastelle übersetzt: In der Hauptachse erhebt sich dominant und vielgeschoßig der Mittelrisalit der repräsentativen Heckfassade, den auf beiden Seiten spiegelbildliche Anbauten und Auskragungen flankieren, nachrangig und deutlich niedriger zwar, aber noch immer mit Sockel, Attika, Pavillondach und Firstschmuck als herrschaftlich gekennzeichnet. Für die Verwandlung der Heckarchitektur vom Bildträger heraldischer Dekorationen zum Architekturprospekt gibt es Gründe, denen es nachzugehen gilt. Ihr architektonischer Charakter als solcher steht für den gesamten Zeitraum des Barock außer Frage, allerdings ist nie genau untersucht worden, welche Architekturelemente wann und wo in die Schiffsarchitektur einwandern, welche Funktionen sie dort haben und in welcher Beziehung sie zur ortsfesten Repräsentationsarchitektur an Land stehen. Unklar ist auch, warum mit dem Ende des Absolutismus zugleich diese „architektonische“ Phase im Schiffbau zuende geht, denn mit der Einführung des Kreuzerhecks verschwinden auch die Architekturprospekte, die für etwa zwei Jahrhunderte das repräsentative Erscheinungsbild der Achterschiffe geprägt hatten. Ganz im Dunkeln liegen auch die künstlerischen Mittel, denen die Architekturelemente bei ihrem Transfer aus der steinernen Architektur an Land auf die hölzernen Schiffsrümpfe unterworfen sind. Zwar präsentieren sich die Heckspiegel weiterhin als Architektur aus Stein, und die tatsächlich dem Fachwerkbau verwandten hölzernen Unterkonstruktionen werden durchweg kaschiert, aber dennoch handelt es sich bei der Anverwandlung von Anlageschema und Architekturelementen durch den Schiffbau keineswegs um wortwörtliche Übernahmen. Stattdessen werden die in den Heckspiegeln zitierten oder beschworenen architektonischen Vorbilder typologischen, funktionalen und gestalterischen Veränderungen unterzogen, die insgesamt einen Wechsel von der Performativität zur Repräsentanz der Architektur bedeuten. Die Heckarchitektur der Schiffe ist nur noch bedingt funktional, wenn man die ursprüngliche Zweckbestimmung und den Gebrauchswert der zitierten Architekturelemente als Maßstab nimmt, sie ist teilweise miniaturisiert oder verformt, und oft ganz unumwunden in Trompe l’oeil als Scheinarchitektur ausgeführt. Sie hat sich also von der Architektur zum Architekturprospekt verwandelt, von der Sache selbst zu ihrem Bild. Das Forschungsprojekt sucht in vergleichender Untersuchung diesen Verwandlungsprozeß nachzuzeichnen und die Gründe dafür zu eruieren. Sodann will es die Architekturelemente, die in die Heckprospekte eingewandert sind, in einem systematisch angelegten Katalog nach Typen- und Formengeschichte erfassen, ferner die Parallelen, Ähnlichkeiten und Unterschiede im architektonischen Denkmalbestand der Epoche dokumentieren und analysieren.
DFG-Verfahren
Sachbeihilfen
Ehemaliger Antragsteller
Professor Dr.-Ing. Jan Pieper, bis 11/2013