Die Neudeutsche Schule. Schriftenedition, Datenbank und Studien zu einer zentralen musikästhetischen Kontroverse des 19. Jahrhunderts und ihren Folgen
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Die Neudeutsche Schule, als deren Protagonisten insbesondere Berlioz, Wagner und Liszt gelten, bildete im 19. Jahrhundert den Kristallisationspunkt eines in mehrfacher Hinsicht wirksamen Paradigmenwechsels – nicht nur innerhalb der Musikgeschichte, sondern im umfassenderen Sinne auch der europäischen Kulturgeschichte. In nie zuvor dagewesener Weise wurden hier Fragen der Musikästhetik zu Geschichtskonstruktionen, die Frage der Rolle von Musik und Gesellschaft sowie jene nach dem Stellenwert des Musikers und nach Möglichkeiten adäquater Institutionalisierung miteinander verknüpft und zu großen utopischen Entwürfen gebündelt. Die Hintergründe dieses hochkomplexen Phänomens durch eine umfassende Quellenedition wissenschaftlich zu erarbeiten, zu dokumentieren und kritisch zu kommentieren war Gegenstand der Projektarbeit und führte zu der Erkenntnis, die musikhistorische Selbstverständlichkeit des Begriffs der „Neudeutschen Schule“ in neuem Licht sehen zu können und zu müssen. Das mit diesem Namen verbundene und von einer vermeintlich eindeutig ausgeprägten Polarität gekennzeichnete Phänomen einer Kontroverse zwischen einer Fortschrittspartei und deren Gegnern hat im florierenden Pressewesen des 19. Jahrhunderts seine Voraussetzung. Exemplarisch dafür steht die 1843 erfolgte Gründung der Leipziger Illustrirten Zeitung – als erste deutschsprachige dieser Art – und deren rasant steigende Auflage, die als markantes Zeichen für den ‚populären‘ gesellschaftlichen Strukturwandel dieser Zeit gilt. Diesen Wandel und die damit verbundene Möglichkeit hin zu einer größeren Öffentlichkeit vermochte eine nur kleine Anzahl von Musikern und Publizisten, angespornt durch die gesellschaftspolitischen Umtriebe des Vormärz für ihre Zwecke zu nutzen. Auf diese Weise geben sich die Dimensionen einer kulturgeschichtlichen, in der Musik einzig und erstmals auftretenden Entwicklung zu erkennen: Das Medium Zeitschrift wurde mittels Musikkritik aktiviert und gezielt von den Meinungsführern dazu genutzt, den Kanon der Künste ‚vorzeitig‘ zu bestimmen. Ihren Anspruch leitete die Gruppierung aus geschichtlicher ‚Notwendigkeit‘ ab und betrachtete sich einerseits als Nachfolger der Wiener Schule, insbesondere Beethovens, und als Erbe der Weimarer Klassik zugleich; andererseits versuchte sie durch eine theoretische Legitimierung eben dieses historischen Prozesses, den teilweise utopischen Anspruch durchzusetzen, die Gegenwart – und damit sich selbst – bereits als das in Zukunft Klassische zu erklären. Der Umstand, dass dieser Anspruch nicht (mehr nur) in einem Buch erhoben wurde, sondern auf breiter Front in den Fachzeitschriften und damit gleichsam in den ‚Massenmedien‘ der Zeit, führte zu einer jahrelang anhaltenden und unerbittlich geführten Kontroverse, die mit den einst entstandenen Werken samt deren Komponisten in oftmals direkter Verbindung steht und dadurch zuweilen bis heute geschönt oder verfälscht nachwirkt. Während Fachzeitschriften sich heute als das Medium wissenschaftlichen und kulturellen Austauschs entwickelt haben, war das ideelle Konstrukt einer ästhetischen ‚Schule‘ bereits bei ihrem Gründungsakt zum Scheitern verurteilt. Dieses tragende Ideal war es jedoch und die Entwicklung dahin, welche durch die unermüdlich geführten Auseinandersetzungen – die durch die Edition umfassend und kommentiert abgebildet sind – ein einmaliges Zeitzeugnis bieten. Die Dokumentation zeichnet Musik nicht bloß als entscheidenden Anteil bildungsrelevanter Prägung bürgerlichen Gesellschaft nach, sondern legt ebenso die Grundpfeiler für die nach wie vor hohe gesellschaftliche und heute damit verbundene staatliche Akzeptanz der Musik frei sowie nicht zuletzt jene des heutigen musikwissenschaftlichen Arbeitens und Wirkens.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
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Franz Liszt – Ein Europäer in Weimar. Katalog der Landesausstellung Thüringen im Schiller-Museum und Schlossmuseum Weimar, 24. Juni – 31.Oktober 2011, Köln 2011
Altenburg, Detlef
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„Liszt als Virtuose“, in: Perspektiven auf Franz Liszt (= Kompendium Junge Musikwissenschaft 3), Berlin 2011, S. 45–62
Roth, Dominik von
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„Liszt und die Frauen“, in: Die Tonkunst (2011), S. 431–437
Altenburg, Detlef
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„Konfessionelles Komponieren? Das musikalische Christus-Bild in den Christus-Oratorien Felix Draesekes und Franz Liszts“, in: Felix Draeseke – Komponist seiner Zeit, Leipzig 2012, S.178–192
Ortuño-Stühring, Daniel
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„‚Democratische Musik‘? – Franz Brendel und die Auseinandersetzung um die gesellschaftliche Bedeutung der Musik 1848/1849“, in: Musik – Politik – Ästhetik. Detlef Altenburg zum 65. Geburtstag, hrsg. von Axel Schröter und Daniel Ortuño-Stühring, Sinzig 2012, S. 590–614
Ortuño-Stühring, Daniel
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„Wagners Tannhäuser, Liszts Neues Weimar und Carl Alexanders Wartburg-Projekt“, in: Wie der Tannhäuser auf die Wartburg kam. Eine Begleitschrift zur Sonderausstellung anlässlich des 200. Geburtstages Richard Wagners. 18. Mai 2013 bis 31. März 2014 auf der Wartburg, Regensburg 2013, S. 86–103
Altenburg, Detlef
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„Liszt and the Spirit of Weimar“. Studia Musicologica, 54,2, 2014. Print ISSN 1788-6244
Altenburg, Detlef
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„,Man fordert von Weimar nur Kunst …‘. Zu Liszts Programm des Neuen Weimar“, in: Musik im Spannungsfeld von nationalem Denken und Weltbürgertum, hrsg. von Dorothea Redepenning, Franz Liszt zum 200. Geburtstag. Heidelberg, Universitätsverlag Winter, 2015
Altenburg, Detlef