Der Unterrichtsbegriff in pädagogischen Nachschlagewerken
Final Report Abstract
Das Projekt war im Schnittfeld von systematisch pädagogischer Forschung und empirischer Wissenschaftsforschung angesiedelt. Es ging der Frage nach, wie die Schulpädagogik einen ihrer zentralen Begriffe, den Begriff des Unterrichts, seit 1949 bestimmt und nach der Verlagerung nahezu der gesamten Lehrerbildung an die Universitäten sowie unter dem Einfluss der „realistischen Wende" weiterentwickelt hat. Für die Beantwortung dieser Frage wurden Beiträge zum Stichwort Unterricht in pädagogischen Nachschlagewerken analysiert. Im Zentrum der Analyse standen Definitionen des Unterrichtsbegriffs und dazugehörige Erklärungseinheiten, die im Hinblick auf Eindeutigkeit, Klarheit und Theoriehaltigkeit untersucht werden sollten. Ziel des Projekts war es nachzuzeichnen, ob und in welchem Ausmaß es der Schulpädagogik bisher gelungen ist, einen ihrer zentralen Begriffe aus traditionellen, der Praxis der Lehrerbildung verpflichteten, Verwendungsweisen herauszulösen, im Kontext wissenschaftlicher Forschungen und Theorien zu verankern und sich dadurch als wissenschaftliche Teildisziplin der Erziehungswissenschaft zu konstituieren. Die erhobenen Befunde zeigen, dass die Schulpädagogik im Fall der Kommunikation über Unterricht zentrale Erwartungen an eine wissenschaftliche Disziplin nicht erfüllt: 1. Es findet keine wechselseitige Rezeption statt: Bereits vorliegende Bestimmungen des Unterrichtsbegriffs haben keinen Einfluss auf spätere Darstellungen. Stattdessen wird der Unterrichtsbegriff in nahezu jedem Artikel mehr oder weniger neu erfunden. 2. Obwohl der Unterrichtsbegriff als Grundbegriff gilt, lassen sich keine einheitlichen, durch wissenschaftliche Theorien strukturierten Verwendungsweisen feststellen. Lediglich in einem Fall werden zwei Unterrichtsbegriffe in einer wissenschaftlichen Theorie verankert. 3. Die Kommunikation ist frei von der für wissenschaftliche Disziplinen typischen Gegenüberstellung konkurrierender Ansätze und Theorien. 4. Die präsentierten Definitionen sind, indem sie auf Tätigkeiten des Lehrers, die Schule oder didaktische Merkmale des Unterrichts rekurrieren, durchgängig an der Praxis der Profession ausgerichtet. 5. Semantische Entwicklungen zeigen sich nur innerhalb dieser Ausrichtung als Akzentverlagerung von tätigkeits- zu prozessorientierten Definitionen; diese Entwicklung ist jedoch nicht wirklich innovativ, insofern praktische Merkmale der Unterrichtsgestaltung kontinuierlich vorherrschend sind. Die erhobenen Befunde lassen, weil sie nur einen - wenn auch zentralen - schulpädagogischen Begriff betreffen, kein abschließendes Urteils über den disziplinaren Entwicklungsstand der Schulpädagogik zu. Sie relativieren jedoch die gängige, auch durch die empirische Wissenschaftsforschung gestützte Auffassung, dass sich die Schulpädagogik als eine „normal science" entwickelt habe. Wissenschaftsindikatoren wie Stellen, Qualifikationsarbeiten mit empirischer bzw. theoretischer Ausrichtung, universitäre Lehrveranstaltungen und Drittmittelaufkommen liefern sicher relevante Daten zur institutionellen Verankerung der Schulpädagogik, nicht jedoch zur Nutzung der verfügbaren Strukturen für die Durchsetzung einer disziplinspezifischen Kommunikation. Vielmehr kann es, wie die Projektergebnisse zeigen, durchaus zum Fortbestand tradierter Kommunikationsweisen in modernen Strukturen kommen. Im Fall der Schulpädagogik sind allerdings weitere Untersuchungen nötig, um den Verlauf der Grenze zwischen Profession und Disziplin genauer zu markieren.