Von Milizen zu Politischen Parteien? Die Entwicklung von Gewaltgruppen zu politischen Akteuren im Libanon seit 1985
Final Report Abstract
Das Forschungsprojekt hat ein differenziertes Bild des Einsatzes mannigfaltiger symbolischer Formen und kultureller Praktiken in der Kultur des Politischen im Libanon gezeichnet. Neben einer visuellen Symbolik (Farben, Flaggen, Logos, Poster etc.) und der Nutzung einer metaphorischen Symbolik in Slogans, Reden, Schriften und Liedtexten sind hier auch performative Handlungen (Gesten, Inszenierungen, Rituale im Rahmen der Fest- und Erinnerungskultur etc.) von großer Relevanz. Mit seiner akteurszentrierten und vergleichenden Perspektive konnte das Projekt bei den drei untersuchten Parteien jeweils historische Kontinuitäten und Diskontinuitäten aufzeigen sowie die wesentlichen Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der Ausgestaltung einer Ästhetik und Praxis der Parteikultur herausarbeiten. Es kann konstatiert werden, dass libanesische Parteien mit ihren affiliierten Organisationen, Medien und auch historisch ihren Gewaltordnungen im Bürgerkrieg in vielen Aspekten ähnliche symbolische Formen und kulturelle Praktiken einsetzen, um spezifische Milieus für ihre Anhänger zu kreieren, in die diese „von der Wiege bis zur Bahre“ eingebunden sind. Die wesentlichen Funktionen liegen dabei für die Partei in der Erzeugung und Perpetuierung einer kollektiven Identität sowie im „Branding“ der Partei, das ein erhebliches Rekrutierungs- und Mobilisierungspotential birgt. Der Gebrauch von visuellen Symbolen und performativen Handlungen ist besonders ausgeprägt in der politischen Festkultur sowie der Erinnerungskultur, kann aber auch in den Abläufen des Parteialltags beobachtet werden. Es konnten dabei dominierende, wiederkehrende Themen und Motive wie Märtyrerkult, Verehrung des Parteiführers, Bezugnahmen auf Religion und Konfessionsgruppe sowie eine Fokussierung auf Macht- und Stärkedemonstration, eine Heroisierung von Kombattanten und eine damit verbundene Ästhetisierung von Gewalt und Krieg identifiziert und in ihrem historischen, gesellschaftlichen und kulturellen Kontext erörtert werden. Die dabei wesentlichen (konfessionsgruppen- aber auch parteispezifischen) Narrative und Mythen, auf welche die Parteien rekurrieren und die sie dabei bewusst perpetuieren, wurden durch das Projekt herausgestellt und es wurde erläutert inwiefern es hierbei zu Umgestaltungen aufgrund sich verändernder historischer und soziokultureller Rahmenbedingungen gekommen ist. Die Ergebnisse des Forschungsprojektes konnten grundsätzlich aufzeigen, dass „Politik“ im Libanon stark und in mannigfacher Weise in der Sphäre des Symbolischen verortet ist, und welch zentrale Rolle Parteipolitik im Leben vieler Libanesen spielt. Obgleich Parteien nicht die einzigen Handelnden im politischen Feld sind, so sind sie doch dominante Akteure in der Formierung politischer Identitäten und zwar sowohl individueller als auch kollektiver. Es ist festzuhalten, dass dabei individualistische Aspekte oftmals zugunsten der Bedeutung der kollektiven Identität in den Hintergrund treten. Die Parteien liefern ihren Anhängern wirkmächtige Orientierungsmittel in einer unsicheren und konfliktträchtigen Umgebung. In einer Tradition des gewaltsamen Austragens von Konflikten zwischen den konfessionellen Gruppen des Landes bringt die kulturelle Dimension von Politik eine weitere Ebene ein, auf der in einem „Krieg der Symbole“ auch im figurativen Sinne Individuen und Gruppen Verletzungen zugefügt werden. Das Projekt knüpft an die Forschung zu symbolischer Politik und politischen Symbolen sowie der kulturwissenschaftlichen Beschäftigung mit Dimensionen des Politischen an. Die Relevanz der erzielten Ergebnisse liegt in einer Herausstellung der Besonderheit der Kultur des Politischen im Libanon, die sich dadurch auszeichnet, dass dem Einsatz von symbolischen Formen und kulturellen Praktiken in einer konfliktträchtigen politischen Landschaft eine eklatante Bedeutung zukommt. Die Konkurrenz zahlreicher Gruppen um Macht und Ressourcen und die Praxis des gewaltsamen Austragens von Konflikten erfordert ein besonderes Mobilisierungspotential der Anhängerschaft einer Partei, welches durch eine intensive, kollektive Erfahrung erzielt wird. Gleichzeitig suchen viele Mitglieder nach einer tief empfundenen Zugehörigkeit zu einer Gruppe, die Orientierungshilfe in einer unsicheren politischen Situation bietet. Die Ästhetik der Parteikultur vermittelt hier emotionale Bezugspunkte und erzeugt eine kollektive Identität, in der dem Einzelnen durch die Partizipation in der Gruppe Bedeutung verliehen wird und durch die das Individuum zu der Stärke der Gemeinschaft beiträgt.
Publications
- “Constructing an Identity between Arabism and Islam: The Druzes”, Muslim World, volume 103, number 1, January 2013, S. 62-79
Schäbler, Birgit