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Jugendliche Erfahrungsräume und gewerkschaftliche Organisation. Jugendkulturelle Einflüsse auf eine gewerkschaftliche Jugendorganisation am Beispiel der IG Metall-Jugend vom Ende der 1960er bis zum Ende der 1980er Jahre.

Applicant Professor Dr. Axel Schildt (†)
Subject Area Modern and Contemporary History
Term from 2008 to 2011
Project identifier Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Project number 71145295
 
Final Report Year 2011

Final Report Abstract

In dem Projekt wurde der Zusammenhang von jugendkultureller Entwicklung, Änderung der Berufsausbildung und gewerkschaftlicher Organisierung von den späten 1960er bis Mitte der 1980er Jahre untersucht, konzentriert auf die Jugend der IG Metall als der größten Einzelgewerkschaft sowie der Entwicklung der DGB-Jugend. Den Ausgangsfragen nach gesellschaftlichen Individuallsierungs- und Pluralisierungsprozessen konnte anhand der Gewerkschaftsjugend ertragreich nachgegangen werden. Die Organisationsgeschichte zeigt, dass die Aktivisten sich zumeist linken Utopien zuwandten und darüber hinaus versuchten, einen neuen Zusammenhalt als Arbeiterklasse zu etablieren. Zugleich waren die praktischen Anforderungen der betrieblichen Arbeit und die Anpassungsleistungen an die Gesamtorganisation wirkungsmächtig und begrenzten den Einfluss radikaler Positionen. Mit einem integrativen Jugenddiskurs versuchten die Gewerkschaftsführungen, Sinnangebote zu machen und einen jugendlichen Radikalitätsüberschuss für die Organisation zu nutzen. Dies führte zu Zugeständnissen hinsichtlich rhetorischer Radikalität und Aktionismus, änderte die prinzipielle Politik der Gewerkschaften im tripartistischen Aushandlungssystem jedoch nicht grundsätzlich. Von daher sind Vorwürfe an die Gewerkschaften, sie hätten sich durch einen linken Populismus einer notwendigen Modernisierung verschlossen, nur bedingt zutreffend. Klaus Tenfelde hob einmal pointiert hervor, die linke Renaissance der 1970er Jahre habe die Erosion der Arbeiterklasse nur für „einen Lidschlag" aufgehalten. Dies trifft für manche klassenkämpferischen Einstellungen in den Gewerkschaften zum Teil zu. Bei einer Gesamtbewertung sollten die nicht-intendierten Folgen der Radikalisierung beachtet werden. Die Jugend der IG Metall versuchte in den Betrieben und der Organisation Ausweitungen der Freizeit, geringere Leistungsanforderungen und Einkommenssteigerungen zu erreichen; diese Forderungen hatten individualisierende Wirkung, da neue Konsum- und Freizeitchancen gewonnen wurden. Die Modernisierung und Verbesserung der Ausbildung als Voraussetzung für berufliche Mobilität war ein Element der individualisierten Lebensführung und führte zu einer ,Verberuflichung der Arbeit'. Wenn auch kritisch begleitet, eröffnete die Gewerkschaftsjugend soziale Aufstiegswege in beruflicher wie persönlicher Hinsicht und förderte damit persönliche Entfaltungsmöglichkeiten. Auch die zeitliche Ausdehnung des Jugendalters, Kennzeichen der Berufsbildung seit den 1970er Jahren, war von den Gewerkschaften und ihrer Jugend gewünscht und gefordert. Die erheblichen organisatorischen Probleme, die die IG Metall durch den Rückgang jugendlicher Beschäftigter und damit der Jugendvertretungen Anfang der 1980er Jahre hatte, ergaben sich aus einem widersprüchlichen Effekt gewerkschaftlicher Politik. Die Untersuchung hat eine umfassende Perspektive auf die Geschichte der Gewerkschaftsjugend, der strukturellen Bedingungen der Berufsausbildung und von Individualisierungstendenzen eingenommen. Die Effekte dieses Modernisierungsprozesses in der Berufsausbildung trugen zur politischen und kulturellen Erosion der Arbeiterklasse mit bei, auch wenn dies von manchen Akteuren selbst nicht gewünscht war. Die Einflüsse einer linksdominierten Jugendkultur führten nur ideell zu einer Wiederbelebung der Arbeiterkultur; die Abnahme lebensweltlicher Bindungen an die Gewerkschaften wurde durch die Jugendarbeit nur teilweise aufgefangen. Anfang der 1980er Jahre zeigte sich eine stärkere Suche nach subjektiv prägenden Gemeinschaftserlebnissen, die sich insbesondere in Aktivitäten in der Friedensbewegung, gegen Atomtechnologie und für Nicaragua zeigten. Weiterhin in betrieblichen Konflikten engagiert, war es zugleich eine Annäherung an die Neuen Sozialen Bewegungen. Die IG Metall-Jugend gruppierte sich um die betriebliche Facharbeit; nichtsdestotrotz wurden in ihr neue Lebensentwürfe verhandelt; dazu gehören unter anderem Ende der 1970er Jahre die Hinterfragung des Geschlechterverhältnisses, wobei der männliche Anteil in der IG Metall-Jugend signifikant hoch blieb. Eine Durchmischung mit Studierenden erfolgte vor allem über die Bildungsarbeit, in der Studierende systematisch mit einbezogen waren, aber auch durch Angehörige der Gewerkschaftsjugend, die über den zweiten Bildungsweg ein Studium absolvierten. Die Stellen der Abteilung Jugend der IG Metall und Jugendbildungsreferenten wurden in den 1970er Jahren vermehrt mit studierten Gewerkschaftsmitglieder und - nur leicht steigend - mit Frauen besetzt. Hierbei spiegelte sich auch der in den Gewerkschaften immer gegebene Bezug auf die Wissenschaft wider. Die ,Verwissenschaftlichung des Sozialen' konnte für die Organisationsarbeit der Gewerkschaften dargestellt werden.

Publications

  • Birke, Peter: Wilde Streiks im Wirtschaftswunder. Arbeitskämpfe, Gewerkschaften und soziale Bewegungen in der Bundesrepublik und Dänemark. Hamburg 2007 [Rezenion]. - In: H-Soz-u-Kult, 14.02.2008
    Knud Andresen
  • 1968 und die Arbeiter: Studien zum "proletarischen Mai" in Europa / Bernd Gehrke (Hrsg.). - Hamburg : VSA-Verl., 2007. - 334 S. [Rezension]. - In: AfS 49 (2009)
    Knud Andresen
  • Die bundesdeutsche Lehrlingsbewegung von 1968 bis 1972. Konturen eines vernachlässigten Phänomens. In: Peter Birke, Bernd Hüttner, Gottfried Oy (Hrsg.): Alte Linke - Neue Linke? Die sozialen Kämpfe der 1968er Jahre in der Diskussion, Berlin 2009. S. 87-102
    Knud Andresen
  • Sozialistische Jugend im 20. Jahrhundert : Studien zur Entwicklung und politischen Praxis der Arbeiterjugendbewegung in Deutschland / Heinrich Eppe / Ulrich Herrmann (Hrsg.), Weinheim [u.a.] : Juventa-Verl., 2008 [Rezension]. - In: AfS 49 (2009)
    Knud Andresen
  • „Ausbildung ja - Bierholen nein" - Drei Formen des Lehrlingsprotestes 1969/70. In: Zeitgeschichte in Hamburg 2008, hg. von der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg, Hamburg 2009, S. 55-69
    Knud Andresen
  • 'Gebremste Radikalisierung' - Zur Entwicklung der Gewerkschaftsjugend von 1968 bis Mitte der 1970er Jahre. In: Mitteilungsblatt des Instituts für Soziale Bewegungen, Forschungen und Forschungsberichte, Heft 43 (2010), S. 141-158
    Knud Andresen
  • Alexander Christov, ,,Wir sind die junge Garde des Proletariats!" Arbeiterjugendbewegung im Kölner Raum 1904-1919 (Ortstermine. Historische Funde und Befunde aus der deutschen Provinz, Bd. XVlll), Rheinlandia Verlag. Siegburg 2007 [Rezension]. - In: AfS 50 (2010)
    Knud Andresen
  • Koller, Christian: Streikkultur. Performanzen und Diskurse des Arbeitskampfes im schweizerisch-österreichischen Vergleich (1860-1950). Münster: LIT Verlag 2009 [Rezension]. - In: H-Soz-u-Kult, 24.03.2010
    Knud Andresen
  • Nach dem Strukturbruch? Kontinuität und Wandel von Arbeitsbeziehungen und Arbeits(welten) seit den 1970er Jahren (Politik und Gesellschaftsgeschichte, Band 89), Bonn 2011
    Knud Andresen/Ursula Bitzegeio/Jürgen Mittag
  • The west-German 'Lehrlingsbewegung' 1969-1972: Why there is no '68er generation' of young workers. In: Anna von der Goltz (Ed.): 'Talkin' 'bout my generation'. Conflicts of generation building and Europe's '1968' (Göttinger Studien zur Generationsforschung. Veröffentlichung des DFG-Graduiertenkollegs »Generationengeschichte«, Hg. von Bernd Weisbrod, Band 6), Göttingen 2011, S. 217-230
    Knud Andresen
 
 

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